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Popkultur unter der Lupe

Wie toll sind starke Frauenfiguren wirklich?

Zum einjährigen Geburtstag meines Blogs möchte ich ein paar Gedanken loswerden, die mir schon länger im Kopf rumgehen. Wie toll sind starke Frauenfiguren eigentlich wirklich? Lest nach, was mich an dieser Betitelung stört.

Frauen-Emanzipation We can do itIch weiß, ich schieße mir mit dieser Frage scheinbar ein Eigentor, ich meine das aber tatsächlich ernst. Obwohl „Starke Frauenfiguren und ungewöhnliche Protagonistinnen“ in meinem Blog-Titel steht und obwohl ich mich, oberflächlich betrachtet, ausschließlich mit „starken“ Frauenfiguren beschäftige. Was mich an dieser Bezeichnung stört, ist die Fremdzuschreibung, die der Frauenfigur damit übergestülpt wird. Dass wir alle angepasste „Jungfrauen in Nöten“ nicht mehr als Protagonistinnen sehen wollen, deren einziges Ziel es ist, einen Mann abzubekommen, ist klar. Warum aber „muss“ eine Frauenfigur in Buch, Film, was auch immer, „stark“ sein, um interessant zu sein? Sind es denn nicht viel mehr die schwachen, menschlichen Figuren, die zu einer interessanten Handlung beitragen?

Ein paar Beispiele: Nicht die skrupellosen, durchsetzungsfähigen oder körperlich starken Herrscherinnen, Rächerinnen, Intrigantinnen oder femme fatales sind die interessantesten Figuren in einem Plot. Nehmen wir Jessica Jones aus der Netflix-Originals-Serie (den Marvel-Comic habe ich nicht gelesen). Ihre Geschichte ist nicht deshalb spannend, weil sie einen männlich konnotierten Beruf ausübt (Privatdetektivin) oder weil sie übermenschlich stark ist. Ich habe bei der Serie mitgefiebert, weil Jessica Jones im Gegenteil eine gebrochene Figur ist, die mit ihrem Trauma kämpft (die Entführung und Manipulation durch Kilgrave), dabei Rückschläge einstecken muss (und diese in viel, viel Alkohol ertränkt) und es manchmal sogar schafft, über sich hinauszuwachsen.

Oder auch Lila aus der Meine geniale Freundin-Reihe von Elena Ferrante (auch als neapolitanische Saga bezeichnet). Sie bleibt sich ewig gleich. Wir sehen sie nur durch die bewundernde Brille ihrer Freundin Elena. Ja, Lila ist rücksichtslos, schlau, genial eben, aber dadurch auch sehr eindimensional. Nur sehr selten bekommen wir etwas von ihrer Schwäche mit, zum Beispiel ihren Neid auf ihre Freundin Elena. Viel authentischer sind Elenas Selbstzweifel, ihre Unsicherheit. Da ist Entwicklungspotential gegeben, zum Positiven und zum Negativen. Ja, auch zum Negativen! Eine interessante Figur (männlich oder weiblich) muss nämlich nicht nur Identifikationspotential schaffen, wo kämen wir denn hin, wenn wir immer mit allen Entscheidungen einer Figur im Plot einverstanden wären. Das wäre ja auch wieder langweilig.

Für mich hat das Attribut „stark“ einfach wieder sowas gewollt Cooles. Weibliche Charaktere, die so bezeichnet werden, sind oft flach gezeichnet, können zwar austeilen, aber mehr steckt nicht dahinter (*hüstel* Arya aus Game of Thrones zum Beispiel…). Die Wahrheit ist doch: indem man einer Frauenfigur typisch männliche Attribute wie körperliche Stärke und Rücksichtslosigkeit zuschreibt, ist ihre Darstellung genauso sexistisch wie die der passiven „damsel in distress“. Eben, weil typisch weibliche Eigenschaften (Skrupel zu haben, emotional zu reagieren etc.) herabgewürdigt werden. Dass sogenannte „starke“ Frauenfiguren wie Actionheldinnen im Film selbstredend immer cis und heterosexuell sind, beweist einmal mehr die sexistische und homophobe Zeichnung dieser Art von stereotyper Figur. Denn „stark“ heißt ja nicht, dass sie nicht doch stets sexuell verfügbar sein soll für die männlichen Figuren im Plot.

„Stark“ ist daher für mich ein Begriff, der in Bezug auf Frauenfiguren oft auf falsche Art und Weise positiv belegt ist. Von der starken Frauenfigur ist es für mich nur ein kleiner Schritt zur stereotypen Actionheldin, die eben alles kann und alles schafft (und dabei noch top gestylt ist). Muskelbepackte, heroische Männerfiguren finden wir ja auch langweilig. Wie öde ist zum Beispiel der strahlende Aragorn in Herr der Ringe, und wie viel interessanter ist bitte der gebrochene Boromir oder sein Bruder Faramir, auch wenn beide nicht viel Screentime abbekommen haben? „Starke“ Frauenfiguren sind oft nur weibliche Aragorns.

Natürlich ist es eine gute Sache, sich im realen Leben als Frauen gegenseitig zu stützen, und dadurch Stärke zu fördern! Aber im Film zum Beispiel will ich nicht nur unrealistische bad ass-Tussis sehen. Ich will authentische Frauenfiguren, und da gehört Schwäche nun einmal dazu. Bei männlichen Figuren übrigens auch.

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Was meint ihr dazu? Welche Art von starken Frauenfiguren findet ihr spannend?

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21 Kommentare

  1. Madame Lustig 16. Februar 2018

    Ein ganz toller Beitrag, liebe Sabine!
    Ob jemand in meinen Augen eine starke Figur ist, hat nichts damit zu tun, ob sie zu den sogenannten Heldinnen oder Kämpferinnen gehört, von denen man gerne liest oder die man sich immerzu in zig Serien/Filmen anschauen kann, sondern mit dem, was dahinter steckt. Hinter dem Heldentitel oder auch hinter dem Namen einer x-beliebigen Figur. „Stark“ ist in meinen Augen eine Figur, die Fehler macht, Probleme hat, manchmal auch überfordert und hilflos ist und ganz egal, wie scheiße gerade alles für sie ist, weitermacht, um jeden Tag kämpft und Fehler eingestehen kann. Kurz: stark ist für mich eine Figur, die ganz und gar nicht perfekt ist, aber das Beste daraus macht und dabei zu sich und ihren Schwächen steht.

    Ganz liebe Grüße,
    Maike

    Antworten
    1. Sabine 16. Februar 2018

      Danke, schön, dass es dir gefällt, Maike!
      Da gabs mal einen tollen Tweet, der ging so sinngemäß: Bitte den Ausdruck „Power-Frau“ nicht mehr verwenden. Denn der impliziert, dass Frauen per se keine power haben.
      Das passt total gut! Denn landläufig ist eine starke Frau/ Power-Frau immer eine toughe Unternehmerin oder eine Sportlerin oder sowas. Aber dass ganz normale Frauen mit ihren Problemen und Kämpfen jeden Tag „Power“ beweisen, wird dabei übersehen. Ich finde, das kann man gut auf die Literatur übertragen! 🙂
      Werde heute Abend mal beidem Blog vorbei schauen. 🙂
      LG, Sabine

      Antworten
  2. Katharina 13. Januar 2018

    Du schreibst: „Dass wir alle angepasste Heimchen am Herd nicht mehr als Protagonistinnen sehen wollen, ist klar.“ und ich kann im Kontext deines Artikels verstehen, was du damit meinst, will aber dazu zweierlei anmerken:
    1. Ich kenne eigentlich gar keine „angepassten Heimchen“ als wirkliche „Protagonistinnen“, sofern man unter einer Protagonistin mehr als Staffage versteht, vielleicht kommen sie in Liebeskomödien der 60ger vor?
    2. Bei „angepasstem Heimchen“ habe ich denn auch sofort die Hausfrauen der 50ger/60ger Jahre im Kopf, die, als elitäres Merkmal der in der Nachkriegszeit erstarkten Mittelschicht, erst in Amerika, dann auch hier, herausgeputzt, im Petticoat am Herd stehen und kochen und backen ohne sich dabei zu bekleckern, dem arbeitenden Mann dann die Pantoffeln und das Abendessen zurechtrücken und dabei immer lächeln.
    Neben den Darstellungen aus alten Filmen fallen mir hier aber gerade drei neuere Darstellungen dieser „Heimchen“ ein, die nun gerade deswegen sehenswert sind, weil sie, da sie eben hinter die Fassade schauen, zeigen, was für eine Folter so ein Leben für viele Frauen ist / war:
    – Bree Hodge aus Desperate Housewives
    – Laura Brown aus The Hours
    – Betty Draper aus Mad Men
    (Immer, wenn ich Mad Men sehe, denke ich, was für ein Rückschritt die Nachkriegszeit bis in die 60ger war und wie gut, dass wir davon doch schon wieder erheblich entfernt sind.)

    Antworten
    1. Sabine 13. Januar 2018

      Hi Katharina,
      mit „Heimchen“ hab ich ganz überspitzt alle lieben und passiven Protagonistinnen gemeint, die in den klassischen „Liebesromanen“ (Cecilia Ahern usw) oder auch in Young Adult-Romanen vorkommen, wo die Handlung den einzigen Zweck hat, zu schildern, wie die Heldin endlich einen Typen abbekommt. 😉
      Als großer Mad Men-Fan mag ich natürlich auch Betty Draper sehr gern und finde, die Serie ist lange nicht mehr so sehenswert, nachdem Don und Betty sich getrennt haben. Ich halte Mad Men sowieso für eine der besten Serien überhaupt (erzählerisch, ästhetisch usw.)
      Ja ich hätte nicht als Frau in den 50ern, frühen 60ern leben wollen. Viele hatten ja die Berufe der Männer ausgeübt, die im Krieg waren. Und danach hieß es: Jetzt könnt ihr euch wieder damit begnügen, Kinder zu bekommen und euren Männern hinterher zu räumen. Ein Tipp für eine tolle Mini-Serie, die in der Zeit spielt: „Ku’damm 56“, lief im ZDF und gibt’s auf Netflix. Ist an manchen Stellen schon ein bisschen übertrieben (wie viele Probleme kann eine einzige Familie haben?) aber es ist toll gespielt und porträtiert eben genau die Zwänge, unter denen Frauen zu leiden hatten.

      Antworten
  3. Isabella 10. Januar 2018

    Liebe Sabine,

    ein toller Beitrag, der die Gedankengänge, die ich in den letzten Wochen hatte, sehr gut trifft. Ich finde, dass das Attribut „stark“ schon fast inflationär verwendet wird. Nur, weil eine weibliche Figur kämpfen kann, ist sie noch längst nicht stark, und überhaupt vereinfacht der Begriff ihren Charakter. Da bin ich ganz bei dir.

    Alles Liebe
    Isabella

    Antworten
  4. Eva 1. Oktober 2017

    Ein starker Beitrag, der zeigt, dass „stark“ nicht zwangsläufig Heldin sein muss. Leider finden gerade diese Eigenschaft viele bei weiblichen Antiheldinnen weniger gut. Es gibt unzählige männliche Figuren, die so funktionieren. Aus Frauen werden dann schnell Karikaturen oder sie werden negativ wahrgenommen.
    Danke, dass du hier zeigst, dass sie in Wirklichkeit Stärke zeigen.

    LG
    Eva

    Antworten
  5. Nicci Trallafitti 30. September 2017

    Hey!
    Super cooler Artikel. Ich muss endlich mal die Ferrante Bücher lesen, bin super neugierig.
    Und danke für das Hinschubsen zu Jessica Jones, irgendwie ist das bisher an mir vorbei gegangen. Schade, dass es den ersten Comic auf Deutsch scheinbar nicht (mehr?) gibt, finde nur den 2.
    Ich gucke mal ob ich den englischen bestelle. Die Serie ist jetzt im Warenkorb.

    Liebe Grüße,
    Nicci

    Antworten
    1. Sabine 30. September 2017

      Hey! Gerne geschehen! Jessica Jones ist sehr marvel-untypisch, deshalb finde ich die Serie auch so toll! Sehr düster und film noir-mäßig. Und Krysten Ritter spielt die kaputte Alkoholikerin echt gut 😉 Zudem halte ich Kilgrave für den witzigsten und gruseligsten Bösewicht aller Zeiten. Lohnt sich echt!
      Vom Comic habe ich nur den allerneuesten gelesen, da ist die ganze Geschichte mit Kilgrave schon rum (glaube ich).

      Antworten
      1. Nicci Trallafitti 19. Oktober 2017

        Das klingt richtig cool, ich hoffe ich habe (oder nehme) mir bald mal die Zeit, um reinzuschauen.

        Antworten
  6. Lena 30. September 2017

    Hallo,

    was du da beschreibst wird meiner Meinung nach auch gut in „Die zerbrochene Kette (oder vielleicht auch in einer der Kurzgeschichten, nach 25+ gelesenen Darkover-Bücher verschwimmt das alles etwas…) von Marion Zimmer Bradley klar. Da ist unter anderem der Konflikt zwischen Rohana, oberflächlich die gute Hausfrau, und ihrer Nichte Jaelle, die sich einer Gruppe von Frauen anschließt, die jegliche Einmischung von Männern in ihr Leben ablehnt, sehr wichtig. Meiner Meinung ist Rohana dabei die Stärkere von Beiden. Sie hat Macht, sogar in der sonst sehr männerdominierten Gesellschaft dieser Bücher, niemand könnte es ihr verbieten, wenn sie ihren Mann (ein besitzergreifender Alkoholiker) verlassen würde. Aber sie bleibt trotzdem, für alle anderen Menschen in ihrem Haushalt, die sonst unter ihrem Mann leiden müssten. Jaelle dagegen flieht vor ihrer Verantwortung.
    Macht das Sinn? Das Problem ist etwas schwer zu erklären ohne gleich einen Vortrag über das doch sehr komplizierte Gesellschaftssystem auf Darkover zu halten ^^

    Liebe Grüße,
    Lena

    Antworten
    1. Sabine 1. Oktober 2017

      Hi Lena,
      ja, das scheint ein gutes Beispiel die „zwei Seiten“ von Stärke bei Frauenfiguren zu sein! Es kommt eben nicht auf die körperliche Stärke oder auf Selbstbewusstsein an, um eine interessante Frauenfigur zu erschaffen, wie ich finde 🙂 Die beiden von dir genannten Frauenfiguren klingen aber beide interessant. Auch die, die vor ihrer Verantwortung flieht.
      LG, Sabine

      Antworten
  7. Isabel 30. September 2017

    Hallo Sabine, sehr schöner Beitrag. Am interessantesten finde ich Frauen, die eine Entwicklung durchgemacht haben und eben nicht perfekt sind. Frauenfiguren, die immer nur stark sind empfinde ich eher auch wieder als diskriminierend, weil sie ein nicht authentisches Lebensbild verkörpern. Die Vielschichtigkeit ohne Bewertung sollte Normalität werde.
    Liebe Grüsse
    Isabel

    Antworten
  8. Kani 29. September 2017

    Hallo Sabine,

    starke Frauen sind für mich nicht perfekte Frauen. Wenn man perfekt ist, muss man nicht stark sein, dann ist man ja schon perfekt. Starke Frauen sind für mich Frauen die sich „trotzdem“ nicht unterkriegen lassen. Die Weiter machen, auch wenn der Rückschlag sie fast erdrückt. Frauen die einen Ausweg aus einer Situation finden, die versucht sie klein zu halten.

    Also ja, ich mag starke Frauenfiguren. Aber eben stark, nicht perfekt.

    Alles Liebe

    Kani

    Antworten
  9. Caroline Caspar 18. September 2017

    Stark sind in erster Linie Frauen für mich, die innere Stärke besitzen, die unbeirrt ihren Weg gehen, ihren Träumen und Überzeugungen treu bleiben, wie immer diese auch aussehen mögen. Das ist in der heutigen Zeit und unter Einfluss von mainstreams schwierig genug. Am meisten faszinieren mich diejenigen, die kein Stereotyp sind und von fast keinem Algorythmus erfasst werden können. Und richtig spannend sind diejenigen, die sich langsam aufgrund ihres Lebensweges dorthin entwickeln. Dabei hilft es natürlich, auch körperliche Kräfte zu besitzen, da der Widerstand ebenfalls oft körperlicher Natur ist.
    Wie starr das Frauenbild zuzeit ist und wie massiv es einem aufgezwungen werden soll, zeigt ja schon, dass man sich fast entschuldigen muss, wenn man es infrage stellt. Ich lasse mir von keiner Seite aufzwingen, in welcher Form, mit welchem Lebensentwurf ich Frau sein will.

    Antworten

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