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Popkultur unter der Lupe Weibliche Detektive

Detektivin Anna Kronberg in „Teufelsgrinsen“

Ja, es gibt schon eine unübersehbar große Menge an Sherlock Holmes-Adaptionen. In der Variante von Annelie Wendeberg wird dem viktorianischen Helden trotzdem so viel neues Leben eingehaucht, dass auch eingefleischte Holmes-Fans (wie ich) ihren Spaß an diesem wilden Spiel mit Conan Doyle-Motiven haben können. Das Beste ist hier nämlich: Eine tolle, mutige Frauenfigur bietet dem Detektiv die Stirn.

Teufelsgrinsen Buchcover

Anna Kronberg ist die Heldin des historischen Kriminalromans Teufelsgrinsen*, der Ende des 19. Jahrhunderts in London spielt. Die Handlung beginnt bezeichnenderweise nur wenige Monate nach den berüchtigten „Ripper-Morden“, die bekannte Mordserie an Prostituierten im Londoner East End. Damit wird gleich die richtige Atmosphäre geschaffen. Die „schwarzromantische“ Stimmung der Buchreihe speist sich aus den gängigen Klischees vom mysteriösen viktorianischen London. Das geschieht aber auf so unterhaltsame und zuweilen originelle Weise, dass sich auch für eingefleischte Sherlock Holmes-Fans noch Neues bietet. Unter einer Oberfläche von Wohlerzogenheit und Aufgeklärtheit verstecken sich auch bei Teufelsgrinsen eine Menge Standesdünkel und Menschenverachtung. Gegen beide versucht Anna Kronberg anzukämpfen.

Anna ist eine coole, manchmal sogar toughe Heldin, zu der man aufschauen kann, die aber auch zutiefst menschliche Züge hat und deshalb immer sympathisch bleibt. Obwohl hochbegabt, ist sie nicht arrogant und bringt z. B. ihren Studenten in der Klinik bei, dass der Arztberuf nicht mit Allwissenheit einhergeht, (wie es zu der Zeit die gängige Auffassung ist). Mit Mut und Schlagfertigkeit weiß sie ihren Standpunkt durchzusetzen. Aber vor allem bricht Anna Kronberg in Teufelsgrinsen konsequent mit allen Beschränkungen, die ihrem Geschlecht im 19. Jahrhundert auferlegt werden, allen voran, indem sie als Mann verkleidet in eine Männerdomäne eindringt, berufstätig ist und es sogar zu wissenschaftlichem Ruhm gebracht hat. Dadurch wird sie fast zu einer „Superheldin“ stilisiert, denn sie scheint so ziemlich mit allem fertig zu werden. Bald wird aber klar: Ihr Doppelleben zwingt sie dazu, in einem konstanten Zwiespalt zwischen ihrer männlichen und ihrer weiblichen Identität zu existieren. Das macht sie einsam und seelisch labil, denn in keiner Welt ist sie wirklich zu Hause, weder in der männlichen noch in der weiblichen. Als „Anton“ tritt sie tagsüber im Krankenhaus auf, als Anna abends in dem Londoner Slum, in dem sie wohnt und sich als Krankenschwester ausgibt.
Dieses herrlich selbstironische Zitat fasst ihr Dilemma gut zusammen:
„Seufzend vergrub ich mein Gesicht in den Händen und stellte mich den Tatsachen: Ich war eine Frau, verkleidet als Mann. Ich war Wissenschaftlerin und Ärztin, die gelegentlich von Scotland Yard konsultiert wurde. Und ich versuchte ein Verbrechen aufzudecken, von dem Scotland Yard nichts wusste, arbeitete gemeinsam mit Sherlock Holmes an diesem Fall und, okay, vögelte einen Profidieb, der dachte, ich sei eine Krankenschwester. Und ich besaß einen Penis an Strapsen. ,Eigenartigʻ traf es nicht mal ansatzweise!“ (S. 93-94).

Anna Kronbergs Ermittlungs-Stil in Teufelsgrinsen

Anna trifft zu Beginn des Romans auf Sherlock Holmes und beginnt – zunächst gegen seinen Willen – gemeinsam mit ihm in einem Mordfall zu ermitteln. Obwohl Anna ihr Auftreten als Mann perfektioniert hat und noch nie als Betrügerin entlarvt wurde (außer natürlich von Sherlock Holmes) heißt das nicht, dass sie auf besonders „männliche“ Weise beim Ermitteln vorgeht. Ich denke an den klischeeigen Fernsehkrimi-Ermittler, der als „einsamer Wolf“ die Ermittlungen zum Erfolg bringt und dabei keine besondere seelische Beteiligung zeigt. Ihm tut vielleicht mal ein Mordopfer leid, aber er lässt sich davon nicht aus der Bahn werfen. Ganz anders Anna Kronberg: Je weiter sie mit Holmes‘ Hilfe die große Verschwörung aufdeckt, die hinter dem anfänglichen Todesfall steckt, desto größer wird ihre seelische Verwicklung. Im Lauf der Ermittlung wird Anna zur „Undercover-Agentin“ und versucht, das Vertrauen der Verbrecher zu gewinnen. Damit im Zusammenhang kommt eine Frau zu Tode, wofür sich Anna dann verantwortlich fühlt. Sie zeigt insgesamt viel mehr Verletzlichkeit, als es sich eine klassische Detektiv-Figur à la Sherlock Holmes jemals gestatten würde.

Teufelsgrinsen Buch-Cover

© Verlag Kiepenheuer & Witsch

Ist Teufelsgrinsen ein Krimi?

Teufelsgrinsen ist auch kein klassischer Detektivroman. Es geht nicht nur darum, Spuren richtig zu lesen und Verdächtige zu verhören, wie z.B. bei den Miss Marple- oder Hercule Poirot-Geschichten, um dann rückblickend ein Verbrechen aufzuklären. Die Geschichte entwickelt sich vielmehr noch weiter, während die Protagonisten darum kämpfen, den Überblick zu behalten und die „Bösen“ zur Verantwortung zu ziehen. Dabei bringen sich Anna Kronberg und Sherlock Holmes immer mehr in Lebensgefahr. Es handelt sich um eine Mischung aus Detektivgeschichte (bei der das Sammeln von Indizien im Vordergrund steht) und einem Thriller. Denn Kronberg und Holmes kommen einer großen nationalen Verschwörung auf die Spur.*

Zwei Handlungsebenen in Teufelsgrinsen

Trotzdem stehen in Teufelsgrinsen zu Beginn die detektivischen Ermittlungen im Vordergrund: Annas Expertise als Bakteriologin wird beim Fund einer Wasserleiche angefordert. Dort lernen sich Holmes und Anna kennen und beginnen, den Fall gemeinsam zu lösen. Denn bald stellt sich heraus: Eine von der Regierung gedeckte Gruppe von Forschern machen Menschenversuche an Irrenhaus-Insassen und Armenhäuslern. Ziel ist es, biologische Waffen für den herannahenden Krieg mit dem Deutschen Kaiserreich herzustellen. Mit gezielten – und sehr modernen – Methoden wie der Autopsie oder dem Sammeln von Indizien am Fundort der Leiche kommt Anna den Verbrechern auf die Spur, die eiskalt Leben opfern für ihre Zwecke.
Dies möchte ich die erste Handlungsebene nennen, die „Ermittlungs-Handlung“. Es gibt aber noch eine zweite, psychologische Ebene: Den genialen Schlagabtausch zwischen Anna und Holmes, ihr geistiges und psychologisches Kräftemessen, das in einem (mehr oder weniger) unerwarteten Gefühlschaos mündet. Denn zum ersten Mal treffen diese zwei Übermenschen auf einen ebenbürtigen Partner, und das bleibt nicht ohne Folgen.
Bei der ersten Begegnung mit Holmes merkt Anna sofort, dass er ihre Verkleidung durchschaut, denn auch sie ist mit einer glänzenden Beobachtungsgabe gesegnet. Holmes ist begeistert, ein so interessantes „Forschungsobjekt“ vor die Nase gesetzt zu bekommen. Sofort beginnt er, sie zu analysieren, und bringt Anna damit zur Weißglut:
„In einem trockenen, maschinenartigen Ra-ta-ta redete er weiter: ,Sie sind sehr mitfühlend, selbst wenn es sich um einen Toten handelt. […] Eine der wenigen typisch weiblichen Eigenschaften, die Sie zeigen […] Ich nehme an, dass Sie sich schuldig fühlen, weil jemand, den Sie geliebt haben, gestorben ist. Und nun wollen Sie andere davor bewahren. […] Hat Ihr Vater Sie großgezogen, nachdem Ihre Mutter gestorben ist? Anscheinend mangelte es in ihrer Erziehung an weiblichem Einfluss.ʻ“ (S. 29)
Anna zahlt es ihm mit gleicher Münze heim und erkennt sofort den arroganten Geistesmenschen in ihm, der sich allen überlegen fühlt und der als Workaholic ohne seine Arbeit nicht existieren kann. „,Sie sind ein leidenschaftlicher Mensch und verstecken das gut. Aber glauben Sie wirklich, es wäre eine große Tat, alle um sich herum auszustechen?ʻ“ (S. 30)
So testen die Figuren ihre Grenzen aus und akzeptieren sich schließlich als ebenbürtige Partner. Trotzdem könnten die beiden Protagonisten von Teufelsgrinsen unterschiedlicher nicht sein: Anna ist impulsiv und lässt sich in entscheidenden Momenten von ihren Gefühlen leiten. Holmes hingegen kämpft ständig damit, keine Gefühle zuzulassen – das wäre nur eine Störung seines Denkapparats. Anders als bei den originalen Sherlock-Holmes-Geschichten merkt man ihm diesen Kampf jedoch an: „Wann immer ich ihm zu nahe kam, sei es körperlich oder emotional, fühlte er sich unbehaglich. Es hatte kurz nach unserem ersten Treffen angefangen und war immer schlimmer geworden.“ (S. 157)
Die unterschwellige romantische Spannung zwischen den Protagonisten nimmt immer mehr zu (daran musste ich mich erst gewöhnen! Holmes als Liebhaber!). Holmes wehrt sich allerdings, spröde wie eine alte Jungfer, gegen Annas subtile Annäherungsversuche. Es kommt zu einer flüchtigen „Liebesszene“, das Ende des Romans lässt aber völlig offen, wie es mit diesem seltsamen Paar weiter geht.
Anna verdrängt in diesem Text die Figur des Dr. Watson vollständig. Sie wird nicht nur die neue Gehilfin an Holmes‘ Seite, sie ist eine ebenbürtige, manchmal sogar überlegene Partnerin. Außerdem handelt sie eigenständig und durchkreuzt Holmes‘ Pläne sogar, wenn sie es nicht anders mit ihrem Gewissen vereinbaren kann. Watson bleibt eine unwichtige Nebenfigur.

Anna als neuer Sherlock

Der Roman ist in der Ich-Perspektive von Anna geschrieben, aber trotzdem lässt sich die Protagonistin nicht immer in die Karten schauen. Oft kann der Leser ihr nur „über die Schulter“ blicken, wie Watson es in den Sherlock Holmes-Geschichten tut. In einer Episode steigt Anna nachts in das Irrenhaus „Broadmoor“ ein, um ihre Vermutung über die Menschenversuche zu bestätigen. Aber bis Anna tatsächlich über die Mauer klettert, wird dem Leser nicht verraten, was sie vorhat (vgl. S.104-105). Dadurch wird ein ähnlicher Effekt erzielt wie bei den Sherlock Holmes-Geschichten: Der Leser beginnt, die Detektivin zu bewundern, weil ihre Handlungen in entscheidenden Momenten ein Rätsel für ihn sind. 

Diese Ausgabe habe ich gelesen: Annelie Wendeberg: Teufelsgrinsen, KiWi 2014.

*Hinweis für Literatur-Nerds (wie ich einer bin): Wer sich eingehender mit der Theorie von Kriminalliteratur beschäftigen möchte, dem sei Tzvetan Todorovs Poetik der Prosa von 1972 ans Herz gelegt, und darin der Artikel „Typologie des Kriminalromans“.

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1 Kommentar

  1. Denise Yoko Berndt 1. Oktober 2017

    Danke für die tolle Rezension. Ichhabe das Buch schon gelesen, konnte mich aber ehrlich gesagt an viele Details gar nicht mehr erinnern.

    Antworten

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