Klischees können sehr ermüdend sein, sie können aber auch Spaß machen, wenn sie als solche thematisiert werden. Für diese kleine Liste habe ich drei Autorinnen herausgegriffen, die mit Klischees spielen und so Geschlechterstereotype hinterfragen: Daphne Du Maurier, Donna Tartt und Elif Shafak.
Daphne Du Maurier, Donna Tartt und Elif Shafak lese ich gerne, weil sie reflektiert erzählen. Damit meine ich, dass sie z.B. erklären, warum eine Figur ihre Welt so sieht, wie sie es tut. Sieht der Held oder die Heldin eine andere Figur sehr eindimensional, wird auch diese Verblendung thematisiert. Bei Frauenfiguren ist es umso wichtiger, wenn über ihre Darstellung reflektiert wird – es gibt schon zu viele davon, die einfach nur unkommentiert ein Klischee bedienen. Daher habe ich für diese Liste an Leseempfehlungen drei Autorinnen herausgegriffen, in deren Werk diese Reflexivität einen wichtigen Stellenwert einnimmt.
Daphne Du Maurier (1907-1989)
Ich beginne mit einer Klassikerin. Daphne Du Maurier ist in vieler Hinsicht die Königin des Melodrama, das macht aber ihre Romanfiguren nicht weniger interessant. Oft übernimmt Du Maurier Motive aus der Gothic Novel (geheimnisvolle Todesfälle, gespenstische Erscheinungen z.B bei Wenn die Gondeln Trauer tragen, düstere Herrenhäuser etc.). Diese sind aber nur der Hintergrund für die psychologische Ausleuchtung ihrer Figuren. Als Teenager habe ich zum ersten Mal ihren Roman Rebecca gelesen. Es geht darin um eine junge naive Frau, die einen Witwer heiratet und bald merkt, dass seine verstorbene Frau Rebecca noch immer als Schatten über seinem Haus und allen Bewohnern lastet.
Obwohl sich die Protagonistin natürlich fragt, was mit ihrem Mann los ist, ist er nur eine Nebenfigur in der Handlung. Die Protagonistin muss sich vielmehr dem komplizierten Beziehungsgeflecht stellen, das sie nun mit ihrer Vorgängerin Rebecca und diese wiederum mit der unheimlichen Haushälterin Mrs. Danvers verbindet. Es geht hier um die Auseinandersetzung mit weiblichen Stereotypen. Obwohl alle Frauenfiguren auf ihre Rollen festgelegt scheinen (Rebecca = femme fatale, Protagonistin = devote Ehefrau, Mrs. Danvers = verbitterte alte Jungfer), wird ihr individuelles Schicksal doch hinterfragt. Ich will nicht zu viel verraten, aber es geht z.B. darum, welches Bild sich Maxim de Winter von seiner verstorbenen Frau Rebecca gemacht hat – und ob er sie nicht vielleicht nur zur femme fatale stilisiert hat.
Unbedingt reinlesen, es lohnt sich!
Donna Tartt (geb. 1963)
Donna Tartt gehört zu meinen Lieblingsautorinnen, weil sie einen ganz eigenen, dichten Erzählstil hat. Sie legt weniger Wert auf Spannung und einen kompliziert ausgefeilten Plot als auf Atmosphäre und Figurenzeichnung. Das Besondere ist: Gerade in ihren Beschreibungen von Figuren, Schauplätzen und Entwicklungen liegt das Spannende ihres Stils.
Donna Tartt ist keine ausgesprochen feministische Autorin. In zwei ihrer drei Romane sind Männer die Protagonisten und Frauen dienen „nur“ als Projektionsflächen. Das wird aber auch thematisiert. Die wichtigsten Frauenfiguren in The Secret History und The Goldfinch sind love interests. Es geht in beiden Fällen um die unerwiderte Liebe der Protagonisten zu unerreichbaren Frauen. Richard und Theo sind sich ihrer Verblendung aber bewusst und wissen, dass sie nur aus morbidem Lust am Leiden an der unerwiderten Zuneigung festhalten. (Das hört sich jetzt ermüdend an. Die Liebeshandlung ist bei Donna Tartt aber immer nur Mittel zum Zweck, um die Entwicklung des Protagonisten voranzutreiben. Bitte versteht das nicht falsch.)
Bei The Little Friend, Tartts zweitem Roman, geht es jedoch um eine ganze Riege Frauenfiguren, während die Männer fast nur Statisten sind. Die 12-jährige Harriet wächst mit ihrer Mutter, Schwester, Großmutter und einer Reihe Großtanten im amerikanischen Süden der 70er Jahre auf. All diese Frauen, die Großmutter voran, werden zu Matriarchen wider Willen. Denn Ehemänner und Väter sind nicht präsent. Harriets Vater entzieht sich nach einem Schicksalsschlag seiner Verantwortung. Die frühreife Protagonistin (wahrscheinlich ein Alter Ego der Autorin) ist so gar nicht lieb und angepasst. Hausfrau und Mutter will sie entschieden nicht werden. Stattdessen entlarvt sie die Heuchelei ihrer Umgebung mit unbequemen Fragen. Außer Sexismus ist für dieses Südstaaten-Setting natürlich auch Rassismus ein wichtiges Thema. Sehr lesenswert, wenn The Little Friend auch hinter der erzählerischen Qualität von The Secret History und The Goldfinch zurückbleibt.
Elif Shafak (geb. 1971)
Gleich vorweg: ich kenne nur eine einzige Kurzgeschichte von Elif Shafak, die hat es mir aber so angetan, dass ich sie in diese Liste mit aufnehmen möchte. Für den Sammelband Reader, I married him (erschienen 2016 bei The Borough Press) verfassten verschiedene zeitgenössische Autorinnen Kurzgeschichten, die von dem titelgebenden letzten Satz aus dem Klassiker Jane Eyre inspiriert wurden. Im weitesten Sinne geht es in diesen Geschichten um Beziehungen und die Ehe. Shafak, die ja auch auf Englisch schreibt, hat auch eine Kurzgeschichte beigesteuert.
Elif Shafaks A Migrating Bird beschreibt eine kurze Episode aus dem Leben einer jungen türkischen Studentin, die sich in einen holländischen Austauschstudenten verliebt. Der junge Mann sucht ihre Freundschaft, nichtsahnend oder zu gedankenlos, um zu realisieren, dass die junge Türkin sein Verhalten nur als Liebeserklärung interpretieren kann. In ihrer Gesellschaft gehen Männer und Frauen nicht so zwanglos miteinander um. Leider sind seine Gefühle für sie aber nur platonisch.
Aylas lakonische Verzweiflung, nichts gegen die Enge ihrer Existenz tun zu können, stehen im Mittelpunkt der Erzählung – und ihre Sehnsucht nach der großen weiten Welt. Letztendlich steht der exotische (da blonde, hellhäutige und nicht-muslimische) Gerard für genau diese Sehnsucht. Ayla kennt Gerard kaum, geht aber fest davon aus, dass er sie heiraten wird, auch als er wieder zurück in seine Heimat fährt. Die Geschichte ist rührend und ein bisschen kitschig, aber auf nette Art und Weise. Die etwas sentimentale Wortwahl dient ja einem Zweck: Die verblendete Weltsicht eines sehr jungen Menschen darzustellen, der gerade seine erste Erfahrung in Liebesdingen macht.
Diese kleine Geschichte hat mich aufgrund ihrer Einfühlsamkeit bestochen – sie hat nichts oder nur sehr wenig von der politischen Sprengkraft in vieler ihrer anderen Werke. So wurde Shafak 2006 vom türkischen Staat verklagt, weil sie den verdrängten Völkermord an den Armeniern in ihrem Roman Der Bastard von Istanbul thematisiert hat. Der immanente Sexismus in der türkischen Gesellschaft ist natürlich ein weiteres großes Thema für sie. Andererseits wird sie meinen Recherchen zufolge dafür kritisiert, ins Klischee zu verfallen, weil sie nicht weiß, wovon sie spricht. Als Tochter einer Diplomatin und eines Professors ist sie teilweise in Spanien aufgewachsen und lebt seit Jahren in London – gut möglich, dass sie schon lange keinen Insiderblick mehr auf türkische Verhältnisse hat. Da ich auch eine „Outsiderin“ bin, kann ich das nicht beurteilen. Ihren Roman Honour (ebenfalls z. T. als klischeehaft kritisiert) habe ich im Regal und möchte mir bald selbst eine Meinung bilden.
Erwähnte Werke:
Daphne Du Maurier, Rebecca, Virago Modern Classics 2012, deutsch z.B. bei Insel Taschenbuch 2016.
Donna Tartt, The Secret History, Penguin 1993, The Little Friend, Bloomsbury 2005, The Goldfinch, Abacus 2013, alle Romane auf deutsch im Goldmann Verlag erschienen.
Tracy Chevalier (Hrsg.), Reader, I married him, The Borough Press 2016.
[…] tolle erzählerische Kniff bei Rebecca ist, dass die eigentliche Protagonistin schon tot ist, bevor die Handlung einsetzt. Die […]