Mythen begegnen uns in der (Pop-)Kultur öfter, als wir denken. Gerade für die Verhandlung von Geschlechterbildern und ihrer Veränderung sind antike Mythen eine gute erzählerische Folie, auf die auch moderne Autor*innen noch zurückgreifen. Ein Beispiel dafür ist der Pygmalion-Mythos aus Ovids Metamorphosen.
Der Pygmalion-Mythos
Der Bildhauer Pygmalion erschafft sich eine perfekte Frauengestalt, die einer lebendigen Frau täuschend ähnlich sieht. Pygmalion hat mit promiskuitiven Frauen schlechte Erfahrungen gemacht und wendet sich deshalb nur noch seiner Kreation zu. Er verliebt sich in die Statue und bittet die Liebesgöttin Aphrodite, der Figur Leben einzuhauchen. Als Pygmalion sie das nächste Mal liebkost, erwacht die Statue zum Leben und erwidert seinen Kuss. (vgl. Ovids „Metamorphosen“, Buch 10 Vers 243 ff.)
Auch heute noch aktuell: Pygmalion-Motiv in TV und Film
Mag der Stoff auch 2000 Jahre alt sein – ich war selbst überrascht, wie oft das Motiv in der aktuellen Popkultur noch Anwendung findet. Zum Glück geschieht dies in den meisten Fällen, um dieses überkommene Rollenmuster zu karikieren. Die Fantasie eines Mannes, der sich seine Traumfrau einfach selbst erschafft, hat – genauso wie die Unterdrückung der Frau – eine lange Geschichte in der Kultur und tauchte in verschiedenen Formen in der westlichen bildenden Kunst (z.B. s.o., Gemälde von Jean Leon Gérome) auf. Es ist die Fantasie eines Fetischisten und gleichzeitig eine Fantasie von der unendlichen Ausdehnung des Machtbereichs des Mannes. Obwohl Frauen traditionell zur Unterwürfigkeit gegenüber dem Mann erzogen wurden, bedurfte das Patriarchat noch einer gesteigerten Form von Herrschaft. Wenn die realen Frauen nicht den Idealvorstellungen entsprachen, musste eben ein selbst kreiertes Traumweib her, das nach den eigenen Wünschen gestaltet war und jetzt nur noch dafür lebte, ihrem Erschaffer zu gehorchen.
Mich interessieren moderne Fassungen des Mythos, in denen sich die erschaffenen Frauen von ihren „Schöpfern“ emanzipieren. Wie und warum das geschieht, und wie das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen „Kreation“ und „Schöpfer“ aussehen kann, möchte ich in meinen kommenden Artikeln beleuchten. Dabei werde ich auch z.B. auf die Fernsehserien „Jessica Jones“ und „Penny Dreadful“ eingehen – und natürlich auf die berühmteste Pygmalion-Version „My Fair Lady“, das Musical mit Audrey Hepburn.