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Weihnachtskrimis von Autorinnen, Teil 2: Klassiker*innen!

`Tis the season … for murder! Herzlich Willkommen zum zweiten Teil meiner Weihnachtskrimi-Empfehlungen. Hatte ich in meinem ersten Weihnachtskrimi-Artikel – neben Agatha Christie – noch querbeet Autorinnen aus unterschiedlichen Epochen empfohlen, richte ich dieses Jahr meinen Blick besonders auf die Klassiker*innen. Das heißt spezifisch auf Werke aus dem „Golden Age“ der zwanziger und dreißiger Jahre sowie auf Nachahmungen im Stil der Klassiker*innen. Einfach deshalb, weil es aus dem „Goldenen Zeitalter“ noch so viele Weihnachtskrimis zu entdecken gab und sie in meinem letzten Artikel keinen Platz gefunden haben. Und weil Weihnachtskrimi-Nachahmungen im Stil von Agatha Christie & Co. gerade wieder ein kleines Revival erleben.

Weihnachtskrimis "Hercule Poirots Weihnachten" und "Geheimnis am Weihnachtsabend" auf dem Boden liegend, daneben zwei sternenförmige Teelichthalter

Warum sind Krimis zu Weihnachten beliebt?

Auch in meinem ersten Artikel zum Thema habe ich mir die Frage gestellt: Warum lesen Menschen gerne Weihnachtskrimis? Passt Mord und Totschlag doch gar nicht zur „besinnlichen“ Jahreszeit.

Ich denke, es geht nicht nur rein um Eskapismus. Nicht nur um gemütliches Rätselraten unterm Tannenbaum. Weihnachtskrimis greifen die Ambivalenz der Feiertage auf, verstecken sie nicht, wie z.B. Weihnachts-Liebesfilme das meistens tun, und bieten uns damit ein Ventil für die Gefühle, die an Weihnachten eigentlich keinen Platz haben sollen. Wie z.B. Einsamkeit, Melancholie, Angst, Wut. Nicht jede*r hat eine liebende Familie, zu der er oder sie an den Feiertagen gehen kann und nicht selten wirken alte (Familien-)Konflikte – die besonders an Weihnachten tunlichst heruntergeschluckt werden sollen – retraumatisierend auf Menschen.

Mit der dargestellten Gewalt – auch wenn sie manchmal nur angedeutet wird – sprechen Weihnachtskrimis den Kontrast zwischen Festlichkeit und Traurigkeit, zwischen Licht und Schatten an, aus denen unsere Realität, und damit auch die Weihnachtstage, nun mal bestehen. Vielleicht brauchen wir dieses bisschen fiktionale Ehrlichkeit gerade dann.

Selbstverständlich schwingt aber auch das befriedigende Gefühl von wiederhergestellter Sicherheit mit hinein in die Beliebtheit von Weihnachtskrimis und überhaupt von allen klassischen Krimis. Der schlaue Detektiv wird es schon richten – und dann können wir alle zumindest für kurze Zeit zu Tannenbaum und Gemütlichkeit zurückkehren.

Agatha Christie: Hercule Poirots Weihnachten (1938)
(Originaltitel: Hercule Poirots Christmas)

Buchcover "Hercule Poirots Weihnachten" von Agatha Christie

„Ich mache Sie nur darauf aufmerksam, dass es unter solchen Umständen – mentaler Stress [guten Willen heucheln], körperliche Malaisen [zu viel zu essen] – sehr wahrscheinlich ist, dass Antipathien, die bis dahin eher unterschwellig vorhanden waren, und Differenzen, die trivial schienen, plötzlich einen viel ernsteren Charakter annehmen.“

So fasst Hercule Poirot den „Risikofaktor“ Weihnachten für Gewaltverbrechen zusammen und betont damit ebenso den ambivalenten Charakter von Weihnachten, wie ich ihn oben erwähnt habe. Und Poirots Pessimismus behält recht: In Hercule Poirots Weihnachten wird der alte Simeon Lee, ein Diamanten-Millionär, an Heiligabend brutal erstochen. War es ein Einbrecher, oder doch einer der vielen Verwandten des alten Tyrannen, der endlich Rache genommen hat?

Agatha Christies einziger Weihnachtskrimi in Romanlänge ist ein gut ausgearbeitetes Familiendrama, das ich gern gelesen habe, wenn die Figuren auch etwas typenhaft bleiben. Die psychologischen Wirkmächte innerhalb dieser Familie mit dem tyrannischen Patriarchen als Oberhaupt werden trotzdem gut sichtbar. Ich fühlte mich mehrmals an die Erfolgsserie Succession erinnert.

Christies Meisterschaft im Plotten kommt auch bei diesem Krimi wieder hervorragend zur Geltung: Ich kannte den Roman schon, hatte die Auflösung aber vergessen. Ich bin den falschen Fährten trotzdem erneut so gründlich auf den Leim gegangen, dass ich die ganze Zeit gedacht habe „Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein, Person X hat den Mord begangen.“ Aber das war das, was mich Mrs. Christie denken lassen wollte!

Pluspunkte gibt es für die gruselige Stimmung. Der Mord ist ungewöhnlich blutig für einen Christie-Krimi. Die Autorin hatte tatsächlich die Herausforderung ihres Schwagers angenommen, auch mal einen richtig blutrünstigen Mordfall zu schreiben, nachdem ihre Morde meistens eher „harmloser“ inszeniert sind (mit Gift z.B.).

Ein wenig Abzug gibt es für fehlende Weihnachtsstimmung. Anders als z.B. bei Francis‘ Duncans Ein Mord zu Weihnachten (erwähne ich bei den „Honorable Mentions“) spielt das Fest im Plot kaum eine Rolle. Das Familientreffen im Roman hätte auch zu jeder anderen Gelegenheit stattfinden können. Düster-unheimlich ist die Atmosphäre natürlich trotzdem.

Alexandra Benedict: Mord im Christmas Express (2023)
(Originaltitel: Murder on the Christmas Express)

Buchcover "Mord im Christmas Express" von Alexandra Benedict

Alexandra Benedict schreibt Krimis, die klassische Motive à la Agatha Christie aufgreifen (so wie hier ein Mord in einem eingeschneiten Zug), aber versieht diese Krimis immer mit einem modernen Twist.

Das ist auch bei Mord im Christmas Express der Fall: Denn man sieht es dem Cover dieses Krimis nicht an, aber er ist nicht wirklich cozy! Vielmehr spricht er ernste Themen wie sexuellen Missbrauch offen an, wofür ich hier auch eine Content Warnung aussprechen möchte. Im Roman sticht nämlich eine Figurenkonstellation sofort hervor: Eine junge Influencerin und ihr missbräuchlicher Partner. Zudem werden auch die Mordopfer mit ziemlich plastischen Worten beschrieben.

Aber zuerst zur Handlung: Die frisch von der Polizei pensionierte Roz fährt am Abend des 23. Dezembers mit dem Nachtzug von London in ihre Heimatstadt Fort William, das liegt ganz im Norden von Schottland. Sie sitzt sprichwörtlich auf Kohlen, denn bei ihrer Tochter haben verfrüht die Wehen eingesetzt. Zudem gibt es Komplikationen bei der Geburt. Natürlich bleibt der Zug in der Nacht in den verschneiten Highlands stecken. Und die ganzen aufgestauten Spannungen unter den Fahrgästen treten in Form eines grausamen Mordes zutage, der nicht der letzte bleiben wird. Von der Umwelt abgeschnitten, muss Roz anfangen, zu ermitteln.

Mord im Christmas Express verbindet die (Familien-)Konflikte und Traumata der Ermittlerin Roz mit der Krimihandlung. Bei der Hinführung zur Eskalation (sprich, dem Mord) kommen auch andere, ähnlich traumatisierte Frauen-Perspektiven zu Wort. So ergibt sich eine gelungene Mischung aus psychologischem Thriller und klassischem Krimi mit einem guten Schuss Horror. Neben den düsteren Momenten gibt es aber auch helle, die Frauensolidarität thematisieren – wirklich schön ist z.B. die Beziehung von Roz und ihrer Tochter dargestellt. Nebenbei gibt es übrigens „casual queerness“, denn die Tochter bekommt ihr Kind innerhalb einer lesbischen Partnerschaft.

Ada Moncrieff: Murder at the Theatre Royal (2022)

Buchcover "Murder at the Theatre Royal"

Ada Moncrieff habe ich bereits in meinem ersten Weihnachtskrimi-Artikel besprochen, und auch hier darf sie nicht fehlen, weil sie einfach herrliche Whodunnit-Pastiches schreibt. Ihre Romane sind gelungene Nachahmungen im Stil des klassischen „Golden Age“-Krimis der 20er und 30er Jahre. Auch Murder at the Theatre Royal ist in den dreißiger Jahren angesiedelt. Mit der Hauptfigur Daphne King, die als Journalistin bei einer Tageszeitung arbeitet, porträtiert Ada Moncrieff eine typische „New Woman“ aus dieser Zeit. Ab den 1920er Jahren drängten Frauen verstärkt auf den Arbeitsmarkt und zeigten ein neues Selbstbewusstsein. Es war jetzt nicht mehr komplett ungewöhnlich, dass eine Frau gar nicht oder erst später heiratete und sich ihren Lebensunterhalt selbst verdiente (wenn euch diese Zeit interessiert, lest meinen Artikel zum Frauenbild der 20er Jahre). Genau so eine moderne Frau ist Daphne King.

Zu Beginn des Romans hat sie ein Problem: Seit Jahren muss sie die Kummerkasten-Kolumne für ihre Zeitung schreiben. Mehr traut ihr Chef ihr nicht zu. Dann wittert sie ihre Chance, Kriminalreporterin zu werden, als sie für einen Theaterbericht mitten in einen Mordfall stolpert. Der Hauptdarsteller des Stückes „A Christmas Carol“, nach Charles Dickens‘ berühmter Novelle, bricht bei der Probe tot zusammen. Ein Giftmord, wie sich bald herausstellt. Daphne setzt sich bei ihrem Chefredakteur durch und darf ermitteln – und fängt an,  den anderen Schauspieler*innen auf den Zahn zu fühlen.

Der feministische Aspekt ist in diesem Krimi nochmal deutlich wichtiger als in Moncrieffs erstem Whodunnit, Murder Most Festive. Protagonistin Daphne muss sich in einer sexistischen Welt durchschlagen, die sie nicht ernst nimmt.

Erfrischend war auch das leicht abgewandelte Setting: Hier haben wir es mal nicht mit einem eingeschneiten Herrenhaus zu tun, sondern mit einer Theaterkompanie. Das weihnachtliche London der dreißiger Jahre trägt trotzdem gut zur Stimmung im Roman bei. Die Erzählinstanz versteht es geschickt, die Sympathien der Lesenden zu lenken. Man hat von Anfang an bestimmte Figuren im Verdacht, die sich dann aber als unschuldig herausstellen. Es stehen außer der Heldin noch weitere emanzipierte Frauenfiguren im Fokus (was bei den originalen Klassikerinnen eher selten der Fall war). Insgesamt gibt es im Roman einige aufstrebende Frauenfiguren, die zeigen, dass es schon immer Künstlerinnen und Geschäftsfrauen gab und sie nur aus der Geschichtsschreibung verdrängt wurden.

Cyril Hare: Mord auf dem Landgut (1951)
(Originaltitel: An English Murder)

Buchcover "Mord auf dem Landgut" von Cyril Hare

Cyril Hares Krimi Mord auf dem Landgut hat zwar nicht das Wort „Weihnachten“ im Titel, geht aber in puncto gruselig-wohliger Krimi-Stimmung „all in“!

Denn zum Einen bietet der Roman das klassische Setting des Herrenhauses, das pünktlich an Weihnachten eingeschneit wird, während drinnen ein Mord geschieht. Zum anderen haben wir es mit einer besonderen Ausgangssituation zu tun. Ein letztes Mal kommt die Familie zum Weihnachtsfest zusammen, um sich vom alten Lord Warbeck zu verabschieden, der todkrank ist. Die Adelsfamilie der Warbecks steht kurz vor dem Ruin, weil nach dem Tod des Lords die neu eingeführte Erbschaftssteuer das Anwesen mitsamt Ländereien aufzehren wird. Sogar für den Erben des Lords ist es also wahrscheinlich das letzte Weihnachtsfest auf dem Anwesen.

So entsteht eine halb melancholische, halb nostalgische Stimmung. Der Butler des Hauses versucht z.B. mit den althergebrachten (Weihnachts-)Traditionen den längst verblassten Glanz des Hauses zu bewahren, aber es ist völlig klar, dass sowohl das Herrenhaus als auch die Adelsfamilie der Warbecks ihre gesellschaftliche Funktion schon lange verloren haben. Eigentlich werden beide nur noch durch diese alten, inzwischen sinnlosen Traditionen zusammengehalten – was durch die zutage tretenden Konflikte unter den Weihnachtsgästen besonders deutlich wird.

So ist Mord auf dem Landgut eine perfekte Mischung aus Cozy Crime und Gesellschaftsdrama mit politischer Dimension. Neben den Vertretern der „alten Riege“ gibt es auch den Cousin, der Schatzkanzler der sozialistischen Regierung ist – interessanterweise ist er es, der sich besonders gern an seine Kindheit auf Warbeck Hall erinnert und an den alten Traditionen mit nostalgischer Wehmut Gefallen findet.

Dass die Besitzer von Warbeck Hall sowohl gesellschaftlich als auch tatsächlich am Aussterben sind, zeigt der Roman sehr schön in seinem Mordopfer. Denn es ist ausgerechnet der einzige Sohn des Lords, der beim Dinner tot zusammenbricht. Ein zufällig anwesender Detective Sergeant nimmt zusammen mit einem Gast, dem kauzigen Historiker Dr. Bottwink, die Ermittlung auf.

Überraschend politisch wird es bei diesem Krimi übrigens auch durch die Thematisierung von toxischer Maskulinität (in der Gestalt des Mordopfers Robert Warbeck) und von Klassismus. Die Angestellten fangen an, ihr Recht auf gesellschaftliche Teilnahme einzufordern. Der Krimiplot erlebt zudem eine tolle Spannungssteigerung bis zur Auflösung.

„Honorable Mentions“
Gladys Mitchell: Geheimnis am Weihnachtsabend (1936)
(Originaltitel: Death Comes at Christmas)

Buchcover "Geheimnis am Weihnachtsabend" von Gladys Mitchell

Eigentlich wollte ich ja nur weibliche Autoren besprechen, ich musste mein Muster aber durchbrechen und Cyril Hare oben bei den Empfehlungen aufnehmen. Denn der Weihnachtskrimi von Gladys Mitchell, den ich mir schon länger zu lesen vorgenommen hatte, hat mich leider nicht ganz so überzeugt wie erhofft. Das lag nicht an der Protagonistin Mrs. Bradley oder am Kriminalfall an sich, sondern daran, dass die Erzählweise mir zu langatmig war. Es geht viel um Nebencharaktere und -schauplätze, die vom Hauptfall ablenken.

Kurz zur Handlung: Mrs. Bradley besucht zu Weihnachten ihren Neffen Carey, der eine Schweinezucht im ländlichen Oxfordshire betreibt. Zuerst sorgt eine örtliche Geisterlegende für Grusel – ein kopfloser Priester soll in der Weihnachtsnacht umgehen und wer ihn sieht, wird innerhalb eines Jahres sterben – dann kommt der Dorf-Anwalt bei einer Wette ums Leben, bei der es darum ging, sich genau diese Geistererscheinung anzusehen. Wurde er zu Tode erschreckt? Es gibt mehrere Verwandte und verärgerte Ex-Klienten, die ein Motiv haben. Mrs. Bradley nimmt die Ermittlung auf.

Gladys Mitchell war eine Zeitgenossin von Agatha Christie, daher hatte ich sie schon länger auf meiner Leseliste. Heute ist sie eher vergessen, obwohl ihre Krimireihe um die kauzige Mrs. Bradley ganze 66 Bände umfasst, sie zu ihrer Zeit also durchaus erfolgreich war. Mitchell schrieb aber im Vergleich zu ihrer berühmten Konkurrentin Christie weniger „süffig“. Detektivin Mrs. Bradley ist nicht besonders liebenswert, sondern erscheint sonderbar bis sogar gruselig (sie wird oft als „Hexe“ mit klauenartigen Händen und einem „meckernden“ Lachen beschrieben). Es wimmelt in Geheimnis am Weihnachtsabend an skurrilen Figuren und Episoden, die den Roman etwas in die Länge ziehen. Insgesamt sollte Mitchells Version des Whodunnit wohl einfach spröder, weniger gefällig sein als bei Christie, und das ist ja eine legitime Herangehensweise. Mit Mrs. Bradley, die hauptberuflich Psychoanalytikerin ist, hat sie bereits in den 1930er Jahren eine selbständige Frauenfigur geschaffen, was man bei Christies Frauenfiguren nur bedingt behaupten kann.

Francis Duncan: Ein Mord zu Weihnachten (1947)
(Originaltitel: Murder for Christmas)

Buchcover "Ein Mord zu Weihnachten" von Francis Duncan

Dieser Krimi hat mich vor ein paar Jahren das erste Mal auf das Genre des Weihnachtskrimis aufmerksam gemacht. Es geht um den kauzigen älteren Ermittler Mordecai Tremaine, der auf ein Herrenhaus zur Weihnachtsfeier eingeladen wird. Das Buch hat eine ganz eigentümliche melancholisch-verträumte Stimmung und greift so die Ambivalenz der Weihnachtsfeiertage sehr schön auf, ähnlich wie bei Mord auf dem Landgut von Cyril Hare. Tremaine ist ein einsamer Mensch und der gesellschaftliche Kontext, in dem die Romanhandlung stattfindet, ist die der Unsicherheit und der großen Umwälzungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Besondere Pluspunkte bekommt der Roman von mir für seine clevere Einbeziehung von Weihnachtsmotiven. So nimmt der prächtig geschmückte Weihnachtsbaum eine Schlüsselrolle bei der Lösung des Fallrätsels ein.

Das war’s! Welche Weihnachtskrimis könnt ihr noch empfehlen?

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