“Frau Faust”: Krimiheldin mit Schlagkraft

Werbung/Rezensionsexemplar: Mein erster deutscher Krimi seit Jahren hat (fast) nicht enttäuscht: Antje Zimmermann hat mit ihrer Protagonistin Kata Sismann eine faszinierende weibliche Ermittlerinnenfigur ins Leben gerufen. Im Gedächtnis bleiben wird mir auch die Beziehung zu ihrem Ermittlungspartner Kilian, denn diese überrascht mit unkonventioneller Dynamik. Ein bisschen weniger Melodramatik hätte dem Plot aber gut getan.

Buchcover von "Frau Faust" mit einem U-Bahn-Tunnel im Hintergrund
© Piper Verlag, Pixabay_ Peter_H

Gute Mischung aus Grusel und schwarzem Humor

Gleich vorweg: Der Roman „Frau Faust“ ist in vielen Teilen sehr schwarzhumorig angelegt. Wenn sich nüchterne Beschreibungen schrecklicher Leichenfunde mit Seifenopern-Dramatik abwechseln, muss man schon davon ausgehen, dass einiges in diesem Plot mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist – einem sehr düsteren, wohlgemerkt.

Daher ist auch der Kriminalfall bei „Frau Faust“ ein bisschen wie eine dunkle „soap opera“ angelegt: Clarissa Moor, eine glamouröse Krimi-Autorin, reich, schön und Liebling der Presse (äh wo gibt’s die im realen Leben? Sebastian Fitzek ist vielleicht berühmt, aber glamourös?) wird ermordet. Die Frau hatte viele Feinde, wie sich bald herausstellt. Denn die Dame war äußerst manipulativ und verstand es, die Menschen in ihrem Umfeld auszunutzen. Allen voran ihren jungen ehrgeizigen Assistenten, der ihr als Ghostwriter diente und nach Anerkennung lechzt. Hat er seine Chefin ermordet, nachdem sie dafür sorgte, dass sein Name nicht, wie versprochen, als Co-Autor auf dem Cover ihres nächsten Krimis erscheint?

Ganz viel Meta-Ebene: Frau Faust ist eine Satire auf das Krimi-Genre

So weit, so gut. Der Roman balanciert diese Dramatik geschickt mit einem Erzählkniff aus, der gleichzeitig als Parodie auf die Literaturwelt zu lesen ist. Denn neben der Ermittlerin Kata Sismann und dem Assistenten Carl Vian ist eine dritte Figur Point-of-View-Character: die junge Studentin Alba Oster. Diese hatte bei der ermordeten Star-Autorin einen Schreibkurs belegt (und steht ebenso unter Mordverdacht).

Die Schilderungen zu Albas naiven Schriftsteller-Träumen und die Rückblicke zum Schreibkurs, bei dem sich alle Teilnehmer um die Gunst von Clarissa Moor bekriegen, kann auf jeden Fall als satirischer Kommentar zur Buchbranche gelesen werden.

Außerdem werden immer wieder die ersten Kapitel der Krimi-Projekte aus dem Schreibkurs zwischen die reguläre Handlung geschoben. So bleibt es mehrmals kurz unklar, ob wir hier einem neuen Erzähler lauschen und das Erzählte zur Handlung gehört oder nicht – bis man als Leser*in realisiert, dass es wieder eine Kostprobe aus dem Schreibkurs ist. Diese Kostproben machen sich über die verschiedenen Klischees aus dem Krimi- und Thriller-Genre lustig (z. B. die Joggerin, die von einem Unbekannten überfallen wird) und nehmen die Konventionen des Genres sehr schön auf den Arm.

Kata Sismann: eine faszinierende Ermittlerinnen-Figur

Jetzt aber zum Herzstück des Romans: der Hauptfigur! Diese ist wirklich gut gelungen und weist einige Kniffe auf, die sie vom Einheitsbrei der Detektivfiguren abhebt.

Kata Sismans Figur hat zum Einen eine interessante Vorgeschichte: Sie verfolgte bis vor einigen Jahren neben der Polizeischule eine erfolgreiche Boxerinnenkarriere (daher der Buchtitel Frau Faust. Zum Glück hat er nichts mit Goethe zu tun). Aber auf ihrem wichtigsten Kampf wurde Kata schwer verletzt und musste das Boxen aufgeben.

Seitdem schlägt sie sich als grantige Kriminalkommissarin mit Gedächtnislücken durchs Leben. Dem Drogenkonsum ist sie auch nicht immer abgeneigt. Das klingt auf den ersten Blick klischeebelastet, liest sich tatsächlich aber sehr unterhaltsam. Denn es kommt die feministische Komponente hinzu: Kata Sismann widerspricht jedem weiblichen Geschlechterideal. Sie lässt sich von von keinem ihrer männlichen Vorgesetzten was sagen. Nachts zieht sie durch Bars und sucht sich Sexpartner, wobei sie die so gründlich objektifiziert, wie es sonst nur die machomäßigsten Protagonisten in Actionfilmen mit ihren weiblichen “love interests” machen. Das ist sehr amüsant zu lesen, denn Kata ist einfach eine coole Type. Kommt ihr ein Date dumm, vermöbelt sie den Kerl ganz einfach. So hat sie mich einige Male an die Marvel-Heldin Jessica Jones erinnert.

An Katas Figur wird der Alltagssexismus in der Männerdomäne „Polizei“ sehr schön illustriert. So wirft ihr der Polizeitherapeut z. B. vor, ihr Verhalten am Arbeitsplatz werde als „aggressiv, wenig rücksichtsvoll und stellenweise sogar unkollegial“ empfunden. Worauf Kata treffend entgegnet: „Am Weibe wird geschmäht, was am Manne geachtet.“ (S. 26)

Ja, auch „Frau Faust“ Kata Sismann kann man zu den seit Henning Mankell obligatorischen „kaputten Ermittlerfiguren“ zählen. Aber ihre Verbissenheit und ihr Mangel an persönlichen Beziehungen wird im Plot ja gut begründet: Sie hat mit ihrer Boxerinnenkarriere einen Teil ihrer Identität verloren. Das versucht sie jetzt, mit ihrer Kommissarinnenkarriere zu kompensieren, was aber nicht immer gelingt. Richtig interessant wird es, als Kata im Laufe der Ermittlungen beginnt, an ihrer eigenen Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln. Denn sie hat immer wieder Filmrisse. So steht für die Protagonistin plötzlich viel mehr auf dem Spiel: Es geht nicht mehr nur darum, einen Fall zu lösen, oder der Degradierung durch den Vorgesetzten zu entwischen, nein: Jetzt fragt sich Kata, ob sie ihren Beruf überhaupt noch lange wird ausüben können. Und was wird dann aus ihr? Dieser Konflikt verspricht auch in den Folgebänden spannend zu werden.

Überraschende Figurendynamik zwischen der Protagonistin und ihrem Partner

Die Figurendynamik zwischen Kata Sismann und ihrem Ermittlungspartner Kilian ist tatsächlich eine der überraschendsten Elemente im Roman. Die beiden sind alte Freunde von der Polizeischule, aber es gab nie eine sexuelle Spannung zwischen ihnen. Ursprünglich herrschte einmal eine liebevoll-spöttische „große-Schwester-kleiner-Bruder“-Dynamik zwischen ihnen (Kilian ist zwei Jahre jünger als Kata). So kann man als Leser*in schon mal aufatmen: Das gern verwendete Drama im Krimigenre, dass sich Ermittlungspartner plötzlich ineinander verlieben, ist so schon mal ausgeschlossen (wobei auch das, gut eingesetzt, natürlich unterhaltsam sein kann).

Leider ist Katas und Kilians Verhältnis mittlerweile ziemlich angespannt, aber aus ganz anderen Gründen. Sie haben sich im Laufe der Jahre auseinander entwickelt.

Während sie z.B. auf das traditionelle Familienbild pfeift, ist er inzwischen treusorgender (und etwas spießiger) Familienvater und hat zum gründlichen Ermitteln eigentlich keinen Nerv mehr. Was die ehrgeizige Kata ihrem „Sidekick“ verständlicherweise übel nimmt. Vor allem trauert sie um ihre verlorene Freundschaft, was mich beim Lesen wirklich angerührt hat. Ich bin gespannt, wie es mit dem Verhältnis der beiden weiter geht.

Der Kriminalfall bei Frau Faust ist spannend konstruiert und wartet mit einigen skurrilen Momenten auf, was ich immer als Pluspunkt empfinde. Es zeigt, dass sich der Roman einfach selbst nicht so ganz ernst nimmt. Einige Handlungsdetails waren mir aber zu melodramatisch (z.B. die Familiengeschichte von Carl Vian und einige Verwicklungen mit Katas persönlicher Vergangenheit).

Der Roman ist das Krimidebüt der Autorin Antje Zimmermann. Ich hoffe, dass sie noch weitere Folgebände aus der Reihe nachlegt.

Habt ihr den Roman schon gelesen? Wie war euer Eindruck?

 

Vielen Dank an den Piper-Verlag für das Rezensionsexemplar!

3 Kommentare

  1. Danke für diesen interessanten Buchtipp!
    Könnte man Nele Neuhaus nicht als ein wenig glamourös bezeichnen?
    Ich glaube fast, dass in den USA die Autorinnen schon einen solchen Nimbus haben.
    LG
    Sabiene

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