„Ida“ von Katharina Adler – Buchgespräche in Münchner Kneipen
Offensichtlich ist es zu früh, um an einem Samstag in Bahnhofsnähe eine Kneipe zu finden. Die ganze Welt pilgert zum Day-Drinking in billigen Lederhosen und Plastik-Dirndln zur Wiesn, aber wir müssen uns noch gedulden, bis das Cucurucu öffnet. Zeit, um über alles Nicht-Literarische zu sprechen.
Den Barkeeper stört es aber letztendlich doch nicht, dass wir uns schon mal reinsetzen. Ehrliche Freundlichkeit in der Wiesn-geplagten Stadt in Kombination mit sagenhafter Musikauswahl. Wir sind jetzt schon große Fans.
Auch von unserer Lektüre? Diesen Monat haben wir Katharina Adlers Roman „Ida“ gelesen. Es ist die Geschichte der Urgroßmutter der Autorin, die der Welt als Freuds Fall „Dora“ bekannt ist. Vor einigen Monaten – noch vor Erscheinungstermin – haben wir die Autorin bei der Veranstaltungsreihe „Atelier Monaco“ in der Monacensia gesehen. Die Lesung hat uns so begeistert, dass wir das Buch direkt nach dem Erscheinungstermin auf die To-Read-Liste gesetzt haben.
Kathinka: Katharina Adler hat uns ja beide in der Monacensia begeistert. Damals hatte ich den Eindruck, dass „Ida“ das Porträt einer Frau sein sollte. Nach dem Lesen muss ich aber jetzt sagen, dass es das aber nicht ist. Deswegen würde mich mal interessieren, was wird deiner Meinung nach in „Ida“ erzählt?
Jennifer: Ich hatte genau dasselbe Gefühl, für mich war „Ida“ ein Stück Zeitgeschichte. Vielmehr ein Portrait der Epoche, von Kriegen und der Zeit danach, von politischen Umbrüchen und Neuanfängen.
Kathinka: Genau das hätte ich auch gesagt. Es ist das Porträt einer Zeit anhand der Geschichte einer Frau – oder sogar einer Familie.
Jennifer: Wir wollten diesmal am Anfang die Frage nach dem Feminismus stellen, daher frage ich mal direkt: Wie findest du denn Ida als feministische Figur?
Kathinka: Wenn wir von der literarischen Figur ausgehen und von ihrer Darstellung – und das sollten wir ja, wenn wir über den Roman reden –, muss ich sagen, dass ich sie nicht sonderlich feministisch finde. Ich hatte das Gefühl, dass die Autorin ihre Protagonistin gar nicht ernst nimmt.
Jennifer: Hm, ich verstehe was du meinst, so habe ich das allerdings nicht wahrgenommen. Fakt ist aber, dass nur die Gespräche mit Freud tatsächlich so stattgefunden haben. Alles andere ist Katharina Adlers Vorstellung von Ida. Und ich hatte das Gefühl, dass sie bei Freud sehr feministisch ist. Sie nimmt nicht einfach eine männliche, von außen aufgezwungene Meinung an, sondern sie prüft seine Aussagen und lehnt sie für sich selbst ab. Ich finde ihr Handeln gegenüber dem autoritären Freud sehr – entschuldige – cool. Allerdings hatte man in dem weiteren Geschehen das Gefühl, dass Ida garstig war, und das empfand ich als super anti-feministisch: dass eine Frau mit Meinung nicht sympathisch sein kann.
Kathinka: Genau das meinte ich. Die Darstellung von Ida ist so von oben herab!
Jennifer: Ah verstehe, ich hatte das „nicht ernst genommen“ so aufgefasst, dass ihre Charakterisierung sich in der größeren Geschichte verliert. Man hat sie als Individuum nicht ernst genommen, sie war nur Mittel zum Zweck.
Kathinka: Nein, so habe ich das nicht gemeint. Also ja, das passiert auch, aber ich fand, dass Katharina Adler Ida nicht als mündigen Menschen zeigt. Das spiegelt sich auch in der Sprache wider. Der Ton ist so betulich. Das ist teilweise dem Österreichischen geschuldet, aber auch sonst ist mir Ida zu naiv dargestellt gewesen. Bei ihrer Flucht in die USA beispielsweise: Die Sprache ist immer noch die eines kleinen Kindes, obwohl Ida inzwischen eine rüstige Dame ist. Da findet so wenig Entwicklung statt. Ida wird typisiert. Und bei der ganzen Garstigkeit und Naivität ist es mir dann auch schwergefallen, Ida sympathisch zu finden.
Jennifer: Nun ist aber auch kein Mensch immer sympathisch, also ist sie einfach menschlich, aber es ist schon überzeichnet.
Kathinka: Tatsächlich war sie mir eigentlich nie sympathisch. Habe mich die ganze Zeit gefragt, ob Katharina Adler sie überhaupt mochte.
Jennifer: Wie gesagt, ich fand sie teilweise schon sympathisch, vor allen Dingen in ihrem Kampf gegen Freud.
Das längste und zentralste Kapitel im Buch beschäftigt sich mit Idas Therapie bei Freud. Ein paar Mal sind seine Beobachtungen vorangestellt, ansonsten erlebt man die Sitzungen aus Idas Perspektive. Der Protagonistin sowie auch ihrem realen Vorbild wird eine Hysterie unterstellt, die mit unspezifischen Krankheitssyptomen wie kränklich sein, Lähmungen usw. einhergeht.
Kathinka: Ja! Und in ihrer Reaktion auf Freud ist sie dann doch eine starke Frau.
Jennifer: Allerdings hatte ich mir davon sehr viel mehr erwartet, die gesamte Freud-Ida-Geschichte wurde viel zu schnell abgehandelt. Das waren die Momente, in denen man das Besondere an ihrem Charakter im Kontext ihrer Zeit erkannt hat. In der Geschichte geht das viel zu sehr unter. Aber um nochmal auf die Naivität zurückzukommen: Ihre Sprache transportiert diese, weil sie es einfach ist. Wie viel Jahre lagen zwischen dem Gespräch zwischen ihr und Freud, in dem es um die Bedeutung ihrer Hand in der kleinen Tasche geht, und der Erkenntnis, welche sexuelle Anspielung er damit gemacht hat? Dreißig? Aber das hat den Kampf mit Freud so besonders gemacht, sie war zwar ein Produkt ihrer Zeit, trotzdem hat sie gemerkt, dass das, was er ihr versucht einzureden, nicht stimmt. Es ist nicht ihre Wahrheit. Sie hat erkannt, wo ihre Grenzen sind und dort einen Schlussstrich gezogen, als es ihr zu viel wurde.
Kathinka: Ich hätte mir auch deutlich mehr davon gewünscht, vor allem mehr O-Ton im Vergleich zu ihrer Wahrnehmung. Das Besondere an der Figur der Ida ist ja eben ihre Therapie bei Freud. Sie gibt ansonsten nicht genug her für das Porträt einer Frau. Ohne Freud ist sie nicht interessant genug. Hier frage ich mich, ob diese Erkenntnis nicht das Ziel von Katharina Adler zunichtemacht: Sie wollte ja Ida eine Stimme geben unabhängig von Freud. Aber so richtig gelingt es nicht.
Jennifer: Das war wahrscheinlich Katharina Adlers Versuch die Geschichte weiterzuerzählen, um aus ihr eine Person zu machen, die mehr ist als der Fall Dora. Wenn man mal einen kleinen Exkurs zum Bechdel-Test macht, sieht man, Ida reagiert und agiert nur in Beziehungen zu Männern: Hans, der sie missbraucht, ihr Vater, Kurt, der Geldabzocker und ihr Ehemann. Anhand dieser Männerfiguren kann man Idas Geschichte oder ihre Persönlichkeit festmachen. Apropos Männerfiguren: Ihr Bruder, den sie bewundert …
Kathinka: … Ich bewundere ihn auch. Er ist meiner Meinung nach mit Abstand die spannendste Figur! Aber nochmal kurz zum Vater: Für ihn ist Ida eine Erweiterung seines Körpers. Sie ist sein Äuglein, sein Öhrlein, sie selbst zählt gar nicht mehr. Beinahe bis zur Selbstaufgabe.
Jennifer: Und bei ihrem Ehemann kann sie im Vergleich zeigen, wie intellektuell sie ist und wie hoch ihre Ansprüche sind.
Katharina: Ich fand auch, dass ihre Hochnäsigkeit in der Beziehung zu ihrem Mann heraussticht. Bei Hans ist sie dann Opfer. Wie auch später bei diesem Betrüger, der ihr Geld aus der Tasche zieht.
Jennifer: Oh, weißt du wen wir vergessen haben? Freud! Ein nicht unwichtiger Mann in ihrem Leben …
Wir lachen sehr.
Kathinka: Haha, da sieht man mal, wie gering sein Stellenwert im Buch ist.
Jennifer: Diese Opferrolle, bringt sie auch in die verdrehte Logik von „Sie will es doch auch“, die Freud ihr aufzwingt, und ihr damit diesen Opferstatus aberkennt. [Ida wird einmal von einem Freund der Familie sexuell bedrängt.] Generell erkennen ihr alle Männer diese Rolle ab, einzig die Frauen haben Mitleid mit ihr.
Kathinka: Im Gegenteil, sie wird sogar als Lügnerin dargestellt. Und daran zerbricht sie auch fast. An der Doppelmoral ihrer Zeit. Womit wir übrigens wieder beim Porträt der Zeit wären – und bei dem Aufbau des Buches, denn der ist ja sehr interessant. Es wird nicht chronologisch erzählt. Im ersten Kapitel ist sie schon eine alte Frau. Anfangs dachte ich, das sei die große Stärke des Buchs.
Jennifer: Aber dann springt sie zu wirr und man hat Mühe, sich zu orientieren. Positiv fand ich die wiederholenden Passagen, Momente vom Anfang, die nochmal erzählt wurden und so eine Verbindung schaffen und vorherige Situationen erklären bzw. ergänzen.
Kathinka: Und bei den Sprüngen geht es nicht nur um Zeitsprünge, sondern auch um die Perspektive, aus der erzählt wird. Denn es wird ja nicht nur Idas Sicht beschrieben. Otto und Kurt kommen auch zu Wort. Das hat mich gestört, weil es irgendwie nicht zur Erzähllogik passt. Mir kamen die zeitlichen Sprünge und die Sprünge der Perspektive willkürlich vor. Ich sehe dafür keine Motivation.
Jennifer: Ich gebe dir recht und so im Ganzen hat es mich nicht gepackt.
Kathinka: ich glaube nach „Homegoing“ hätte es jedes Buch extrem schwer gehabt. Aber ich muss auch ehrlich sagen, dass meine Erwartungen enttäuscht wurden. Obwohl das Buch tolle Anlagen hat, und Katharina Adler ohne Zweifel wunderbar schreibt.
Jennifer: Ich denke auch, dass es zeitweise sehr gut war, die Freud-Parts waren super, die Otto-Szenen waren sehr interessant und man hat gemerkt, dass da unglaublich viele Informationen und Recherche reingeflossen sind. Es ist ein kluges Buch, gut recherchiert und alles – aber die Erwartungen waren so anders, und Ida so schwach teilweise. Für mich persönlich ist es daran gescheitert.
Kathinka: Vermutlich ist es so, dass Katharina Adler eine gute Autorin ist, aber einfach die falsche für Idas Geschichte. Vielleicht ist sie als Urenkelin zu nah dran.
Buchgespräche in Münchner Kneipen
Das Wichtigste zuerst: Wir sind kein Lesezirkel, denn wir sind nur zu zweit. Wir sind eine Lesegerade. Eine feministische Lesegerade. Wir bezeichnen uns nicht als Büchermädels (höchstens als Bücherfrauen) und lesen einmal im Monat gemeinsam ein Buch mit feministischem Bezug, um verschiedene weibliche Stimmen zu einem Thema, das uns sehr am Herzen liegt, kennenzulernen. Dazu gibt’s traditionell Weinschorle.
Jennifer ist Marketingmanagerin, Wahlmünchnerin und Frankfurter Babbel-Dasch. Hat fast so viel Kosmetik wie Bücher. Liebt den Sommer und die Sonne, Politik, Synchronstimmen-Raten und Hörbücher. Das sind Jennys Twitter-Account und ihr Instagram-Account.
Kathinka ist Lektorin, Übersetzerin und Schriftstellerin to be. Physisch in München, seelisch in London. Liebt alles Erzählende. Außerdem Fußballfan, Katzenfrau, Reisende und überzeugte Europäerin. Besucht sie auf ihrem Twitter-Account und ihrem Instagram-Account.