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„Was ist schon typisch Mädchen?“ von Holly Bourne – Der Kampf gegen Alltagssexismus

Feministischer Aktivismus – nicht gerade ein alltägliches Thema für einen Jugendroman. Aber die Spinster Girls sind ja auch keine alltägliche Buchreihe. Wie cool und erfrischend der politische Kampf gegen Alltagssexismus sein kann, beschreibt Holly Bourne in Was ist schon typisch Mädchen?. Es bleibt nur eine kleine Kritik an der Figurenzeichnung Lotties. Ich denke in meiner Rezension außerdem über den Zusammenhang von kognitiver Dissonanz und Feminismus nach. Vielen Dank an den dtv für das Rezensionsexemplar.

Was ist schon typisch Mädchen Cover

Lottie merkt, es muss sich etwas ändern. Als sie gleich zu Beginn des Romans von zwei Männern auf dem Schulweg sexuell belästigt wird, ist sie panisch, wütend – und beschließt, dass sie sich wehren will. Zusammen mit ihrer FemAG, dem erweiterten Club der Spinster Girls, möchte sie einen Monat lang alle sexistischen Dinge anprangern, die sie sieht, und das auf Video dokumentieren. Das geht beim frauenverachtenden Filmplakat los, setzt sich fort bei fehlenden Autorinnen auf der Leseliste im Unterricht, und ist bei überteuerten Damenrasierern noch lange nicht zu Ende. Je mehr Lottie auf Widerstände in ihrer Umwelt stößt, desto entschlossener wird sie, nicht locker zu lassen.

Begeisterung und Betroffenheit beim Lesen von Was ist schon typisch Mädchen?

Der zweite Teil der Spinster Girls, Was ist schon typisch Mädchen?, versetzte mich beim Lesen in eine seltsame Mischung aus Begeisterung und Betroffenheit. Begeisterung, weil Lotties Figur und ihre Agenda so mitreißend sind. Sie traut sich, das zu kritisieren, was andere für normal halten. Sie wird als zutiefst konsequente, rasch entschlossene Figur dargestellt. Einmal aufgerüttelt, lässt sie sich nicht mehr zum Schweigen bringen und gerät dabei zu einer Über-Figur, einer Kämpferin für all die Teenager-Mädchen, die nicht den Mut haben, sich zu wehren.

Aber auf der anderen Seite fühlte ich mich von Seite zu Seite betroffener. Was ist schon typisch Mädchen? zeigt all das auf, was in unserem Alltag aus feministischer Warte für Frauen gehörig schief läuft und uns viele Rechte abspricht, die Männer automatisch haben. Und dass das SO viele Dinge sind, wo Sexismus im Alltag eine Rolle spielt, hätte ich nicht gedacht. Man denke allein an die Szene, als der Kellner automatisch Lotties männlichem Begleiter die Rechnung hinschiebt.

Als Jugendbuch leistet Was ist schon typisch Mädchen? deshalb eine unfassbar wertvolle Aufklärungsarbeit. Ja, das hört sich steif an, aber ich bin der Meinung, gerade dieser Band aus der Spinster Girls-Reihe will nicht vordergründig eine Geschichte erzählen, sondern aufrütteln. Es ist nicht normal, wie ihr behandelt werdet, Mädels. Sagt, was schief läuft. Lasst euch nicht zum Schweigen bringen. 

Feministische Agenda hat nichts mit Männerhass zu tun

Holly Bournes Verdienst ist dabei, dass sie den Aktivismus von Protagonistin Lottie durch und durch sympathisch, frisch und nachvollziehbar beschreibt – fernab vom Klischee der Feministin als verbitterter Männerhasserin. Es ist sehr geschickt angelegt von der Autorin, dass Lottie ein Jungenschwarm ist. Es wäre so viel einfacher für sie, einfach ihre Beliebtheit zu genießen. Aber das tut sie nicht. „Kampflesbe“ und „Feminazi“ sind dabei die harmlosesten Titel, die Lottie von den Jungs an den Kopf geworfen bekommt.

Frauenstimmen, erhebt euch! (Kleiner Spoiler)

Im Laufe des Romans wird Lotties Aktion landesweit bekannt und sie wird sogar ins Fernsehen eingeladen. Das Aufsehen, das sie erregt, bringt natürlich Neider auf den Plan. Ich möchte nicht alles verraten, aber Lottie wird an einem Punkt des Romans Opfer von Slut Shaming. Ihre Beliebtheit, ihr aktives Sexualleben und jetzt ihr Aktivismus sind zu viel für ihre männlich beherrsche Umwelt, sind zu viel für das Patriarchat. Sie muss zum Schweigen gebracht werden. Dass das (voerst) gelingt, bringt Tiefe in den Plot und in Lotties Charakter, den ich leider an anderen Stellen etwas vermisse.

Was ist schon typisch Mädchen Holly Bourne

Superwoman Lottie – zu viel des Guten?

Gerade im Gegensatz zu Evies Charakterisierung in Teil 1 der Spinster Girls war Lottie ein eher flacher Charakter. Sie ist zwar erst 17, aber sie kann alles, weiß alles, schreibt immer Einser und ist selbstverständlich auch noch hübsch, mutig und beliebt bei den Jungs. So als „Superwoman“-Verschnitt ist sie etwas zu glatt und zu erfolgreich, auch wenn sie ab und zu an sich zweifelt. Selbst der Konflikt mit ihren Eltern, die gegen ihren Aktivismus sind, trägt kaum etwas dazu bei, Lottie als Figur mit Ecken und Kanten greifbar zu machen. Er hat nur wenig Einfluss auf Lottie, die ja sowieso alles schafft.

Das mindert den Wert des Romans natürlich in keinem Fall. Er trägt dazu bei, Feminismus „salonfähig“ zu machen, und hat dafür schon allen Respekt verdient.

Kleiner Exkurs: Das Problem der kognitiven Dissonanz, Feminismus und Make-Up

In einer wichtigen Szene erklärt Lottie ihrer FemAG, was kognitive Dissonanz ist. Dabei geht es um den Widerspruch, gleichzeitig zwei gegensätzlichen Ansichten anzuhängen. Wenn ich mich z.B. als Feministin bezeichne, dürfte ich der Logik nach keine Liebeskomödien gut finden oder mich schminken. Natürlich tut frau es trotzdem und das ist ja auch kein Verbrechen, so lange man sich dabei wohlfühlt – jeder Mensch ist in gewissem Maße ein „Heuchler“, niemand ist perfekt. Ein Zitat von Lottie fand ich in dem Zusammenhang wichtig:

„Ich hab schwer darüber nachgedacht, ob ich Feministin sein kann und mich trotzdem schminken kann. Denn man könnte ja anführen, dass wir es nur machen, um den Jungs zu gefallen (…) Aber irgendwann ist mir klar geworden, dass ich mich nicht unterdrückt fühle, wenn ich Make-Up trage. Ich finde es sogar ziemlich befreiend. Es ist eine Art, mich auszudrücken, kreativ zu sein. (…) Und, der wichtigste Punkt: Wenn alle Jungen morgen tot wären (…) wisst ihr, was dann? Ich würde mich immer noch schminken!“ (S. 150-151)

Lotties Argumentation lässt mir hier einen wichigen Punkt außer Acht, den ich auch schon bei meiner Rezension von Du wolltest es doch von Louise O’Neill wichtig fand: Nicht allein die Männerwelt ist Schuld, eine Menge von dem Druck, der auf Frauen lastet, wird von den eigenen Geschlechtsgenossinnen ausgeübt (denkt mal an all die Mythen, die über das „richtige“ Muttersein herrschen). Selbstverständlich ist dieser Druck auch wiederum Produkt einer unterdrückenden Männerwelt, die Frauen dazu anhält, untereinander in Konkurrenz zu treten.

Was das Thema Schminken angeht: Wenn es denn einen gesellschaftlichen Zwang für Frauen gibt, Make-Up zu tragen, so geht der meiner Meinung nach nicht von den Männern aus, sondern von den Frauen. Warum fangen 12-, 13-Jährige an, sich zu schminken? Doch nicht, weil sie Jungs gefallen wollen, sondern, weil sie sich ihren Freundinnen zugehörig fühlen wollen, die sich auch alle schminken, weil sie von ihnen bewundert werden wollen. Und ich denke, ein Stück weit trifft das auch auf erwachsene Frauen zu. Wir wollen zum Club gehören, wollen dem Bild entsprechen, von dem unsere Geschlechtsgenossinnen ausgehen, dass es zum „Frau-Sein“ dazu gehört. Vielleicht ist es wichtig, sich diese gesellschaftlichen Mechanismen bewusster zu werden. Ich werde trotzdem nicht aufhören, mich zu schminken, wenn mir die Laune danach steht. Wie denkt ihr darüber?

Lest auch meine Rezension zu Teil 1 der Spinster Girls, „Was ist schon normal?“

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3 Kommentare

  1. -Leselust Bücherblog- 17. Oktober 2018

    Liebe Sabine,
    Mal wieder eine richtig tolle Rezension. Danke dafür. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie kritisch du Bücher lesen kannst und Kritikpunkte aufzeigen und trotzdem von dem Buch begeistert sein kannst. Denn wie sehr du hinter der Idee des Buches stehst, kann man aus jeder Zeile deiner Rezension herauslesen.
    Schon mit dem ersten Band der Reihe habe ich liebäugelt; der zweite Band spricht mich jetzt sogar noch mehr an. Wird wohl doch Zeit, dass ich die Bücher lese. Die Themensetzung der Autorin finde ich auf jeden Fall absolut unterstützenswert –uns das auch noch in Jugendbüchern. Mega gut.
    Liebe Grüße, Julia

    Antworten
    1. Sabine 17. Oktober 2018

      Hi Julia,
      oooooh, danke, ich bin total gerührt! Les die „Spinster Girls“ auf jeden Fall, für Jugendbücher sind sie sehr kritisch und reflektiert, eigentlich schade, dass das was Neues ist 😉 Besonders Teil 2 war echt ein Pageturner, wobei mir, wie gesagt, manchmal die Tiefe gefehlt hat.
      LG, Sabine

      Antworten

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