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Spinster Girls – Young Adult für die nächste Generation Frauen!

Ich hatte ehrlich gesagt nicht viel erwartet, als mir der Jugendroman Spinster Girls – Was ist schon normal? von Holly Bourne (Teil 1 einer Reihe) zum Rezensieren angeboten wurde. Die positive Überraschung folgte auf dem Fuße. Ohne dick auftragen zu wollen (ok, vielleicht schon) möchte ich diesen Roman als Auftakt zu einer neuen Generation Young Adult bezeichnen. Hier werden bekannte Handlungsmotive, die immer noch Spaß machen, mit feministischem Anspruch und einer Prise psychologischem Entwicklungsroman vermischt. Super gelungen! Vielen Dank an den dtv für das Rezensionsexemplar.

Außergewöhnliches Plotkonzept mit einem feministischen Mädchenclub

Ein Young Adult-Roman, der feministische Theorien behandelt, das hört sich zunächst ziemlich ungewöhnlich an. Aber keine Sorge, hier handelt es sich nicht um eine Ansammlung von Essays. Die Protagonistin Evie gründet mit ihren Freundinnen Lottie und Amber, alle 16 Jahre alt, einen feministischen Mädchenclub, nachdem den dreien immer klarer geworden ist, wie sexistisch ihre Alltagswelt sich tatsächlich gestaltet. Sie nennen sich Spinster Girls, um gerade dieses Schimpfwort für Frauen, „alte Jungfer“, wieder positiv zu besetzen:

„‚Was ist eine ‚Spinster‘ noch mal genau? Eine ältere unverheiratete Frau? … Im Märchen wär das die gruselige alte Jungfer, das Schreckgespenst, dank dem sich junge Mädchen schon von klein auf davor fürchten, für Männer nicht attraktiv zu sein. Es bedeutet Ladenhüter. Es bedeutet vergeudetes Leben. … Was, wenn wir den Spieß einfach umdrehen und den Begriff neu besetzen?‘“ (S. 183).

Die drei Mädchen beschließen, bei jedem Treffen der Spinster Girls über ein feministisches Thema zu diskutieren, das sich meist aus ihren eigenen Alltags-Erlebnissen ergibt. Sehr erfrischend fand ich dabei, wie der Prozess des Erwachsenwerdens der drei Mädchen mit Erkenntnissen über ihre ungerechte, sexistische Lebensrealität verschmilzt und so viele feministische Thesen ganz natürlich in den Plot eingebaut werden. Recht theoretische Themen wie benevolenter Sexismus, period shaming oder die Trope der „hysterischen Frau“ werden so unaufdringlich in die Handlungsstruktur eingewebt. Als Leserin erlebt man mit, wie die Mädchen diese Themen nach und nach für sich entdecken und erkennen, wie relevant sie für sie sind. Gleichzeitig hat man als Leserin bei vielen Themen dieselbe Erkenntnis und will nur noch die ganze Zeit aufstehen und rufen: „Jawoll! Genauso ist es! Warum habe ich das früher nicht so klar gesehen!“

Kleiner Exkurs: Spannende feministische Thesen in Spinster Girls – Was ist schon normal?

Über einige der Spinster Girls-Themen hatte ich mich selbst schon informiert, andere, wie die Theorie des benevolenten Sexismus, waren mir in der Form neu. Dabei geht es darum, dass Frauen sich selbst am schlimmsten unterdrücken, weil sie das sexistische Bild der Geschlechter mindestens so gut verinnerlichen wie Männer und deshalb der Meinung sind, eine Frau müsse immer lieb und angepasst sein, der Mann hingegen das Alphatier spielen. Im Klartext: Frauen sind darauf konditioniert, es sexy zu finden, wenn sich ein Mann „arrogant und leitwolfmäßig“ (S. 325) aufführt – eine Tatsache, die wohl schon jeder „Frauen“- oder YA-Roman ausgenutzt hat.

Spinster Girls Was ist schon normal?

Auch eine alte Bekannte ist Lotties These, dass alle Männer das „Manic Pixie Dream Girl“ wollen. Das ist eine Wunschvorstellung von Männern, ein süßes Mädchen, das auf „liebenswerte Weise durchgeknallt“ ist, auf „unverbindlichen Sex“ steht, „Whisky und Bier trinkt“ und keine Ansprüche an die Beziehung stellt, „weil sie völlig ausgelastet ist mit ihren schrägen Hobbys oder Bandproben“ (S. 179). Das „Manic Pixie Dream Girl“ geistert schon seit Jahrzehnten mit Verkörperungen wie Holly Golightly (Breakfast at Tiffany’s), der süßen Sam aus dem Film Garden State (gespielt von Natalie Portman) oder der verrückten Jess in New Girl durch die Popkultur. Im Roman Gone Girl (sowie der Verfilmung mit Rosamund Pike) stellt die betrogene Protagonistin das Wunschbild des „Manic Pixie Dream Girl“ ebenfalls an den Pranger, nur nennt sie es „Cool Girl“ (ich schreibe darüber in meinem Beitrag zu femmes fatales):

„Being the cool girl means I am a hot, brilliant, funny woman who adores football, poker, dirty jokes and burping. … Cool girl never gets angry at her man. She only smiles in a chagrined loving manner and then presents her mouth for fucking.“

Ein zunächst harmlos wirkendes Klischee, das sich auf den zweiten Blick als umso toxischer erweist, da es der Frau keine Identität außerhalb ihrer verschiedenen Funktionen für den Mann (Fußball schauen, trinken, unverbindlicher Sex) zuweist. Das sind nur zwei der feministischen Themen, die ich bei den Spinster Girls unheimlich spannend fand.

Ein ganz spezieller Handlungsmotor

Evie ist 16 und hat auf den ersten Blick ganz normale Teenager-Probleme: Sie möchte akzeptiert sein, möchte Freunde haben und endlich erste Erfahrungen mit Jungs sammeln. Der Buchtitel Was ist schon normal? gibt aber schon einen ersten Hinweis. Für sie steht noch viel mehr auf dem Spiel, denn „normal“ zu sein, bedeutet für sie, überhaupt den Alltag bewältigen zu können. Denn Evie ist auf dem Weg der Besserung nach einer psychischen Erkrankung, einer Zwangsstörung. Ihr Kampf um Akzeptanz hat deshalb einen dramatischeren Hintergrund als bei anderen YA-Romanen.

Evie ist wild entschlossen, wieder ein ganz normales Teenager-Leben zu führen, bevor sie anfing, sich zwanghaft zu waschen und aus Angst vor Krankheitserregern nicht mehr aus dem Haus zu gehen. Deshalb verheimlicht sie ihren neuen Freundinnen auch die Tatsache, dass sie gerade noch gegen ihre psychische Erkrankung kämpft und regelmäßig in Therapie geht. Ich verrate nur so viel: Das funktioniert auf die Dauer nicht. Neben den ganzen Liebesproblemen der drei Spinster Girls geht es in Was ist schon normal? deshalb vor allem um Evies wachsende Probleme mit sich selbst. Ihre Selbstzweifel und Ängste, immer grafisch abgehoben durch eingerückte Absätze mit der Überschrift „Ungute Gedanken“ entwickeln einen ganz besonderen, manchmal richtig bedrohlichen Spannungssog. So enthält dieser YA-Roman nicht wenige düstere, aber realistische Elemente. 

Ein Buch über authentische Frauenfreundschaft!

Natürlich gibt es auch viele helle Momente. Ganz hervorragend fand ich die Darstellung der Mädchenfreundschaft von Evie, Lottie und Amber. Kennt ihr dieses Phänomen, dass in den meisten Hollywoodfilmen oder Unterhaltungsromanen Mädchenfreundschaften nur ein Alibi für den Plot sind, damit sich zwei weibliche Wesen treffen und über Männer – meist den Protagonisten – unterhalten können? Klar müssen sich die drei Spinster Girls auch über ihren Liebeskummer austauschen. Aber sie wollen, und das ist ganz besonders wichtig, auch eine Identität außerhalb davon entwickeln, was die Jungs in ihrem Umfeld von ihnen denken könnten. Als witzige Pointe spricht Lottie sogar einmal den Bechdel-Test an und verlangt, sie sollten sich weniger über Jungs unterhalten (S. 110). Sehr schön ist auch das Negativbeispiel von Jane. Evies ehemalige beste Freundin hat eine Totalverwandlung durchgemacht, nachdem sie mit dem Möchtegern-Rockstar Joel zusammengekommen ist, komplett mit gefärbten Haaren, Metal-Outfit und neuem Musikgeschmack:

„Sie hatte Joel nicht nur ihr Herz, sondern ihre gesamte Persönlichkeit geschenkt … Womit ich nicht umgehen konnte, war nicht, dass sie mich als Freundin absägte …, sondern der Ausverkauf all dessen, was man ist und was einem wichtig ist, nur weil es einem Jungen so gefällt.“ (S. 32-33)

Spinster Girls Holly Bourne

Popkulturelle Anspielungen in Spinster Girls –Was ist schon normal?

Ein kleiner, aber nicht unwichtiger Bonus beim Lesen waren für mich die popkulturellen Anspielungen, vor allem im Zusammenhang mit Evies Filmgeschichte-Kurs in der Schule (so ein tolles Fach hätte ich auch gern mal in der Schule gehabt! Pfeif auf Wirtschaftsgeographie!). Evies schüchterner Mitschüler Oli mag zum Beispiel Fight Club und Donnie Darko, während sie unter anderem auf Vergiss mein nicht! steht, alles Indie-Filme, die ich persönlich auch toll finde. In Zusammenhang mit Evies Vergangenheit bekommt ihre Filmbegeisterung sogar einen tragischen Beigeschmack. Von Angstvorstellungen geplagt, blieb ihr lange nichts übrig, als sich in ihrem Zimmer einzuschließen und Filme zu schauen, um sich irgendwie von den quälenden Gedanken abzulenken. So bekommen die Film-Anspielungen eine Funktion im Roman, sind nicht nur name dropping, weil es sich um einen Young Adult-Roman handelt und da nun mal Popkultur vorkommen muss.

Die totale Absage an Genreklischees – juhu!

Die größte Stärke von Spinster Girls: Was ist schon normal? ist ganz klar, dass der Roman zunächst alte Lesegewohnheiten und Genreklischees erfüllt, um sie dann als unsinnig und toxisch zu entlarven – er wirkt dabei aber nie belehrend. Wir bekommen Spannung, Herzklopfen und Bad Boys geliefert, können anschließend aber über unsere eigene Erwartungshaltung lachen. Was sich z. B. in Lotties Handlungsstrang schon andeutet, wird mit Evies Verblendung über eine bestimmte Männerfigur (keine Spoiler, hüstel) wiederholt und so endgültig vorgeführt. Auch ich bin beim Lesen darauf reingefallen!

Die einzige Frage zum Schluss lautet: Warum ist noch nie zuvor jemand auf die Idee gekommen, einen feministischen Jugendroman für junge Mädchen zu schreiben? Und auch für erwachsene Frauen gibt es hier garantiert noch Einiges zu lernen.

Das Buch ist einfach eine ganz tolle Motivation für Mädchen und Frauen, sich über die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern Gedanken zu machen. Ich bin selbst drauf und dran, einen Spinster Girls Club zu gründen – und freue mich riesig auf den zweiten Band der Reihe.

Holly Bourne: Spinster Girls – Was ist schon normal?, München: dtv 2018.

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