Werbung/Rezensionsexemplar. Die Tochter eines Drogenbosses wurde jahrelang mit hartem Drill für seine Nachfolge ausgebildet. Harley, erst 22, denkt aber gar nicht daran, die kriminellen Geschäfte fortzuführen. River of Violence ist die Geschichte einer weiblichen Selbstermächtigung.
Harleys Lebensgeschichte ist geprägt von Gewalt. Sie lebt im fiktiven North County im ländlichen Kalifornien und wurde dazu gedrillt, das Drogen- und Waffenimperium ihres Vaters Duke McKenna zu übernehmen. Seitdem sie als 8-Jährige mit ansehen musste, wie ihre Mutter vom verfeindeten Clanboss Springfield in die Luft gesprengt wurde, ist ihr Vater besessen davon, dass ihr dasselbe passieren könnte. Er bildet sie deshalb zur tödlichen Waffe aus, „damit ihr kein Mann mehr etwas antun kann“ – und damit sie eines Tages in der Lage ist, das durchweg von Männern dominierte Geschäft an seiner Stelle zu leiten: „Sie soll nicht die Art von Frau sein, die es schafft zu überleben – sondern die Art von Frau, die über das herrschen kann, was ich für sie aufgebaut habe.“ (S. 218)
River of Violence als feministische Kampfansage an den Country Noir
Harley hat indes andere Pläne. Zum Einstieg des Romans arbeitet sie längst darauf hin, die verfeindeten Gangster-Clans gegeneinander auszuspielen, die gefährlichsten Gegner ins Gefängnis zu bringen und so dem Drogengeschäft im County ein Ende zu machen. Daher muss River of Violence unbedingt als feministisches Negativ seiner Genrevorlage, des Country Noir, gesehen werden – und Harley als Anti-Gangsterbossin. Das von männlichen Autoren und männlichen Figuren beherrschte Genre wird hier feministisch umgedeutet. Harley will sich nicht nur als Matriarchin eines bisher männerdominierten Geschäfts einsetzen, sie will es sogar nach ihren eigenen Regeln umgestalten. Eine besondere Handlungsmotivation stellen im Roman die „Rubys“ dar, das sind von ihren Ehemännern oder Freunden verfolgte Frauen aus dem County, die bei Harley in einem umgebauten Motel Schutz vor Schlägen und Vergewaltigung suchen. Vor allem für diese Frauen will Harley den Kreislauf der Gewalt durchbrechen. Wie Harley den Komplott gegen ihre Feinde einfädelt, erzählt Tess Sharpe in einer atemberaubenden Thriller-Handlung, die nur ab und zu ein wenig zu viel Melodrama einsetzt. Auch hätten kleine Kürzungen hier und da nicht geschadet. Der Roman bleibt trotzdem eine perfekt durchgetaktete Erzählung, die unaufhaltsam auf den Showdown zusteuert.
Bedrückende Erzählung einer Vater-Tochter-Beziehung
Harley macht als Figur dabei eine schmerzhafte Entwicklung durch. Sie ist, wie es zunächst scheint, vor allem durch und durch ein Produkt ihres Vaters, sein verlängerter Arm. In jedem zweiten Kapitel erzählt Harley von ihrer harten Ausbildung als Heranwachsende mit den Methoden ihres Vaters: Abhärtung und Einschüchterung. Zur Schule gehen durfte sie nicht, stattdessen lernt sie mit 8 Jahren, ihr erstes Tier zu töten. Mit 12 kann sie so gut schießen wie erwachsene Männer. Mit 18 lernt sie, Leichen zu beseitigen. Je härter Harley wird, je mehr sie ihm ähnelt, desto mehr zeigt sich ihr Vater begeistert. Was Duke McKenna für eine Notwendigkeit hält, wird aus Sicht der heranwachsenden Harley aber als einziges beklemmendes Martyrium beschrieben. Und ihre Zuneigung zu ihrem Vater kippt immer mehr in Hassliebe um. „Seine beschissene Welt ist meine Schule, so ist es immer gewesen … und so wird es immer sein.“ (S. 190)
Weibliche Selbstermächtigung
River of Violence ist die Geschichte einer Frau, die anfängt, die Regeln selbst zu bestimmen. Sie kann ihrem Erbe nicht entfliehen, am Schluss gestehen ihr die Handlanger ihres Vaters – als Kompliment – zu, sie sei inzwischen tatsächlich genau wie ihr Vater. Sie ist für immer geprägt von seinen Lehren. Aber sie kann aus seinem Schatten ausbrechen und dabei anderen Frauen helfen, sich einen Teil der Macht zurückzuholen, die in den Händen der Männer liegt. Harley hilft z.B. der örtlichen Polizistin Frankie dabei, den korrupten Sheriff zu entmachten. Auch die Rubys sollen lernen, sich selbst zu verteidigen, aus der passiven Opferrolle auszubrechen. Es braucht am Ende nicht mehr das Schreckgespenst des brutalen Drogenbosses Duke McKenna, um die männliche Gewalt im County in Schach zu halten. Stattdessen müssen die Männer erkennen, „dass es nichts Stärkeres gibt als eine Frau, die aus der Asche eines Feuers auferstanden ist, das ein Mann gelegt hat.“ (S. 505)
Vielen Dank an dtv bold für das Zurverfügungstellen des Rezensionsexemplars!
Tess Sharpe: River of Violence, dtv bold 2019, übersetzt von Beate Schäfer.
Auch bei Godless wird ein männlich dominiertes Genre umgedeutet: es handelt sich um einen feministischen Western. Ebenso bei Ant1heldin: Eine Besprechung von Jennifer Clements Roman Gun Love über eine Mutter-Tochter-Beziehung, Waffengewalt und die düstere Seite des American Dream.
Der Inhalt erinnert mich in Ansätzen an die Serie “Sons of Anarchy”. Da ist zwar ein Mann der Protagonist, seine Aktionen und die dahinterstehenden Beweggründe sind aber auch familiär bedingt und auch ihm gelingt ein Wandel, nicht ohne eigene persönliche Konsequenzen.