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„Miroloi“ von Karen Köhler – ein plumpes Empowerment

Der Roman Miroloi, als feministisch-politischer Text gehypt, funktioniert leider nur als herzzerreißende Außenseiterinnen- und Entwicklungsgeschichte. Er kann jedoch nicht den Anspruch erheben, reale Verhältnisse widerzuspiegeln oder zu kritisieren. Dafür ist die Plakativität zu groß und die Melodramatik zu überbordend, sind die Vergleiche zu weit hergeholt. Eine Kritik.

Wenn der Hanser-Verlag einen Roman zum Spitzentitel kürt, der sich so offensichtlich mit der Geschichte einer Frauenemanzipation beschäftigt wie Miroloi von Karen Köhler, ist die Agenda klar: Dies soll der Beitrag des Traditionsverlags zur #metoo-Debatte sein. Feminismus als „Erzählmotiv“ wird immer wichtiger, das können weder Netflix-Gucker noch Feuilletonisten leugnen. Die Nominierung für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2019 scheint dem Roman den Ritterschlag zu verleihen. Miroloi gibt Fans von kritischer Literatur über weibliches Empowerment aber leider nur wenig Anlass zum Feiern. Warum?

Plakativ bis zur Ermüdung – Miroloi wählt die Holzhammermethode

Dass die Protagonistin eine einfache Sprache führt – geschenkt. Sie ist Analphabetin und lebt in einer engen „Community“ auf einer abgeschiedenen Insel, wo Frauen keine Bildung haben dürfen, Männer das Sagen haben und ein Ältestenrat über jeden Aspekt des Zusammenlebens bestimmt. Patriarchale Diktatur, quasi. Formulierungen wie „Und ich mach mich weg, jeden Tag mach ich mich weg“ (S. 9) oder „Das Meer mit Schaummäulern drauf, die rauschen und donnern und schlecken“ (S. 15) tragen zum einfachen Charme der Erzählstimme bei.

Schwaches Worldbuilding, plumpe Vergleiche

Beim Worldbuilding, also der Konstruktion von Schauplatz und Gesellschaft innerhalb der erzählten Welt, macht es sich Miroloi allerdings zu einfach. Die Erzählung deutet eine dystopische Aussteiger-Gesellschaft an, die sich auf ihrer Insel vom modernen Leben und all seinen Verführungen losgesagt hat. Was dieses Setting an Spannung versprechen könnte, wird leider immer wieder mit plumper Fabelhaftigkeit zunichte gemacht. Die Religion auf der Insel ist z. B. aus den drei Weltreligionen Christentum, Islam und Judentum zusammengesetzt, was die Bezeichnung der heiligen Schrift als „Khorabel“ nahelegt. Wie eine solche Mischreligion „erschaffen“ und durchgesetzt werden kann, bleibt offen. Die 30 Gesetze der Gemeinde sehen vor, dass der Ältestenrat über Zwangsehen und das Analphabetentum der Frauen bestimmt, aber auch darüber, dass Männer nicht singen oder kochen dürfen. Raum für Subtilitäten bleiben da nicht, nur die krasse Schwarz-Weiße Trennung der Geschlechterrollen, die wiederum einen offensichtlichen Vergleich auf unser reales Bild von Geschlechterrollen ziehen soll – fragt sich, ob diese Plakativität der Kritik zuträglich ist oder nicht.

Miroloi Karen Köhler Hanser

© Hanser

Eine Außenseiterin und ihre vorhersehbare Entwicklung

Die Emanzipationsgeschichte der namenlosen Protagonistin übertrifft all diese Details jedoch noch an Plumpheit und Vorhersehbarkeit. Sie wurde als Baby ausgesetzt und vom hiesigen Priester („Bethaus-Vater“ genannt) an Kindes statt angenommen und großgezogen. In den Augen der abergläubischen Dörfler bleibt die elternlose Heldin aber eine Unglücksbringerin und hat unter allen möglichen Repressalien zu leiden, Folterungen eingeschlossen. Um sich ihrer Identität gewiss zu werden, singt sie ihr eigenes Klagelied, ihr Miroloi – schließlich gibt es sonst niemanden, der sie als Mensch, als Person anerkennt.

Die typische Außenseiter-Geschichte wird hier entfaltet: zunächst wird das Unglück geschildert, heimlicher Widerstand und Triumph lassen aber nicht lange auf sich warten. Selbstverständlich bringt ihr der Priester trotzdem heimlich das Lesen bei, und selbstverständlich verliebt sie sich und macht erste sexuelle Erfahrungen. Dabei werden Bildung und Sexualität auf sehr plumpe Art und Weise miteinander kurzgeschlossen. Sobald die Heldin nämlich lesen und schreiben lernt, kann es nicht anders kommen, als dass sie auch von einer mütterlichen Freundin die Selbstbefriedigung beigebracht bekommt. Die Entdeckung der Klitoris wird gleichgesetzt mit einem „Riss im Gehorsam“ (S. 135) gegenüber dem Patriarchat. Ja, tatsächlich. Ein weiteres Beispiel: Später muss die Protagonistin natürlich auch ihrer langen Haare und ihrer Röcke überdrüssig werden und sich heimlich als Mann verkleiden. Die Rebellionsgeschichte in Miroloi ist zweifellos spannend erzählt – der Roman bleibt aber eben das: eine reichlich unsubtile Spannungserzählung mit ganz viel Melodrama.

Miroloi ist zu unterkomplex für eine echte Kritik am Patriarchat

Die archaischen, patriarchalen Machtstrukturen in Miroloi sollen unsere realen Geschlechterverhältnisse widerspiegeln. Dieser Vergleich muss an seiner Unterkomplexität scheitern. Gerade die subtilen Ungerechtigkeiten sind es doch, die Frauen heute behindern. Nicht das Bildungsverbot, nicht die Zwangsehe. Sondern verbale Herabsetzungen, Vorurteile und fertige Meinungen.

Das Perfide an unserem Geschlechterbild ist doch, dass Frauen scheinbar so viele Freiheiten haben, dass sie eigentlich nicht mehr gezwungen sind, eine Bestimmung als Versorgerin und Mutter zu erfüllen. Eigentlich. Dass es in der Realität anders aussieht und eine Frau belächelt wird, die als „zu ehrgeizig“ gesehen wird, oder die kritisiert wird, wenn sie auch mit Kindern wieder Vollzeit arbeiten möchte, kann eine Fabel wie Miroloi nicht darstellen.

Fazit

Der Roman will einerseits zu viel und andererseits zu wenig. Wenn das Dorf gegen die Ältesten rebelliert und die Heldin ihr Vertrauen in die Religion verliert, versucht Miroloi, die gesamte Aufklärungsgeschichte in eine Fabel zu pressen. Gleichzeitig soll die dargestellte Gesellschaft alle Seiten der Unterdrückung gleichzeitig zeigen, besonders die an Frauen. Die Geschichte lässt andererseits aber keinen Raum für Fantasie, erklärt alles aus und ist vorhersehbar bist zur allerletzten Seite.

Die Offenheit des Settings wird auf dem Klappentext als Stärke des Romans verkauft, ist aber in ihrer Unentschiedenheit eigentlich eine erzählerische Schwäche. Als logisch und konsequent erzählte Dystopie könnte Miroloi kritische und politische Relevanz entwickeln, ähnlich wie The Handmaid’s Tale von Margaret Atwood. Von deren erzählerischem Können ist Frau Köhler aber leider meilenweit entfernt. Außerdem bleibt für den Plot komplett irrelevant, wann und wie sich die Insel der Aussteiger von der modernen Außenwelt abgekapselt hat. So tarnt sich Miroloi bloß als politische Dystopie. In Wahrheit ist es ein historischer Roman mit konventioneller Außenseiterinnen-Geschichte.

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1 Kommentar

  1. Sabienes 24. September 2019

    Nach deiner Beschreibung erinnert dieses Buch an etliche andere Bücher, die ich schon mal gelesen habe. Mit anderen Worten: Nix neues!
    Und wenn es eine Dystopie ist, kann sie ja nicht wirklich auf tatsächlich existierende Ungerechtigkeiten hinweisen. Denn schließlich hat auch Westeros oder Panem nicht viel mit uns zu tun.
    Danke für deinen Leseeindruck!
    LG
    Sabienes

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