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Aktuelle Popkultur Coming of Age: Frauenfiguren werden erwachsen TV-Serie

„Immer für dich da“: Komplexe Frauenfreundschaft, nicht ganz klischeefrei

Die Serie Immer für dich da erzählt die Geschichte einer Frauenfreundschaft über mehrere Jahrzehnte hinweg. Das allein kann schon als feministischer Akt aufgefasst werden: Es stehen zwei Frauen und ihre Beziehung zueinander im Fokus, was in der Unterhaltungslandschaft eher die Ausnahme ist. Dazu kommt, dass sie in einem Handlungsstrang auch als über 40-Jährige gezeigt werden. Es kommen die Probleme zweier reifer Frauen auf den Tisch, zweier Frauen, die zwar ein paar mehr Falten haben als es Serienfiguren normalerweise haben dürfen, die aber wissen, was sie vom Leben wollen. Trotzdem würde ich Immer für dich da (im Original: Firefly Lane, nach der gleichnamigen Buchvorlage von Kristin Hannah) nicht durchweg als feministisch bezeichnen.

Für immer für dich da Serien-Cover auf Handy

© Netflix

Denn die Netflix-Serie macht eine klare Trennung zwischen den beiden gegensätzlichen Hauptfiguren auf: Die eine ist eine super-erfolgreiche Karrierefrau, die andere ist seit 14 Jahren „nur“ noch Hausfrau. Beim Schauen der sehr spannend inszenierten Serie stellte ich immer wieder fest, dass die beiden Freundinnen nicht nur als gegensätzliche Teile eines innigen Freundschafts-Duos gezeigt werden. Sie werden auch – auf nicht immer unpolitische Weise – miteinander verglichen und gegeneinander ausgespielt.

Tully als Überfrau schlechthin – oder?

Tully Hart, souverän gespielt von Katherine Heigl, steht für DIE Karrierefrau schlechthin. Die Serie erzählt, wie sie sich in den 80er Jahren im Journalismus nach oben arbeitet. Im Erzählstrang des Jahres 2003 hat sie inzwischen eine äußerst erfolgreiche Fernsehshow, eine Talkshow nach dem Vorbild Oprah Winfreys, mit der sie in der Serie auch immer wieder verglichen wird. Sie ist eigentlich eine „Überfrau“ – es gibt nichts, was sie nicht kann, sie sieht immer gut aus, ist immer schlagfertig, dabei aber auch immer hilfsbereit ihrer Freundin Kate (gespielt vom ehemaligen „Scrubs“-Star Sarah Chalke) gegenüber.

Tullys „Strafe“ für ihre Emanzipation

Schade an dieser Darstellung ist, dass Tully gleichzeitig als gebrochen und einsam dargestellt wird. Klar, Mehrdimensionalität ist gut. Aber hier kramt die Serie einfach einmal mehr das Klischee der unglücklichen Karrierefrau heraus – und das sieht man daran, wie die Serie die Figuren inszeniert. Gerade in den ersten drei Folgen wird Tullys Leben stark in Kontrast zu Kates Leben gesetzt. Dabei wird Tullys Leben als das dargestellt, das trotz äußerlichem Glamour innerlich leer ist. Sie hat ein Alkoholproblem und scheint mit Suizidgedanken zu kämpfen. Dazu spielt sie ihren eigenen Erfolg herunter, indem sie Kates Lebensentwurf als den „eigentlich richtigen“ hinstellt: „Your family is the real accomplishment“, sagt Tully zu Kate, als diese ihr Hausfrauendasein beklagt. „Accomplishment“, ja, aber warum „the real“?

Ich kann mir nicht helfen: Das alles suggeriert ganz stark, dass Tully, die Emanzipierte, für ihre Emanzipation in der Logik der Handlung bestraft wird. Sie ist erfolgreich und selbstverständlich auch kreuzunglücklich. Sie sehnt sich eigentlich nach einer traditionellen Familie. Ihr Freiheitskampf, wenn man so möchte, weg vom althergebrachten Frauenbild, war nichts wert, denn er hat sie nur in die Einsamkeit getrieben. Es ist schade, dass unabhängige Frauen so oft nicht auch einfach mal als erfüllte Frauen dargestellt werden dürfen.

Motivation durch sexuelle Gewalt (Kleiner Spoiler)

Dazu gibt es noch ein zusätzliches Klischee, das die Serie bedient: Tully erlebt als 14-Jährige in dem Handlungsstrang, der in den 70er Jahren spielt, sexuelle Gewalt. (Dies wird schon ab Folge 1 angedeutet, ist also kein allzu großer Spoiler.) Die Darstellung ist nicht besonders voyeuristisch, also nicht zu vergleichen mit Gewaltdarstellungen à la Game of Thrones. Aber diese Gewalterfahrung wird dann als Motivation für Tullys späteres Karrierestreben herangezogen. Nur aus Gewalt darf diese Frauenfigur also ihre Stärke ziehen, so scheint es – eine beliebte Trope, die so eben z.B. auch bei Game of Thrones zum Einsatz kam, und die durch und durch frauenfeindlich ist. Sie degradiert Frauenfiguren zu Opfern und suggeriert gleichzeitig, dass die Gewalterfahrung eigentlich positiv war, weil sie die Figur eben dorthin gebracht hat, wo sie später ist.

Warum Immer für dich da trotzdem sehenswert ist

Immer für dich da ist trotzdem sehenswert, weil die Serie einfach sehr gut erzählt ist. Die drei Zeitebenen werden auf überraschende Weise miteinander verwoben, sodass die Entwicklung der Figuren Tully und Kate (sowie der Nebenfiguren) sichtbar wird. Wir springen immer wieder hin und her, mal sehen wir die Freundinnen als Teenagerinnen, dann schon als Berufstätige in den 80ern, dann aber wieder in ihren Karriereanfängen im Studium. Themen wie Karriere, Schwangerschaft und Sex werden in den Folgen jeweils mit den jüngeren und den älteren Figuren nebeneinander in Szene gesetzt, sodass wir sehen können, wie sich die Freundinnen weiterentwickeln und wo ihre Motivationen für bestimmte Entscheidungen liegen.

Die Leistung der Serie ist auch: Immer für dich da wird der Komplexität einer so engen und langjährigen Frauenfreundschaft gut gerecht. So wird z.B. nicht nur erzählt, wie die schüchterne Kate von der selbstbewussten Tully als Teenagerin zu mehr Selbstvertrauen und Abenteuerlust motiviert wird. (Das wird mit wunderbar nostalgischem Goldfilter vor Herbstkulisse inszeniert, hach!). Kate darf auch rebellieren und aus der symbiotischen Beziehung ausbrechen, bei der sie nicht selten von ihrer Freundin dominiert wird. So kristallisiert sich gerade durch Kates Kämpfe und ihre Selbstzweifel heraus, dass sie eigentlich die komplexere Figur der beiden ist, obwohl sie anfangs von der schillernden Tully überschattet wird.

In der Serie begleiten die Frauen einander, feuern sich gegenseitig an, sind sich mal näher, mal distanzierter zueinander. Es werden auch Themen wie Zweifel am eigenen Mutterbild und Selbstbild verhandelt, was ich gut gelungen fand. Die Männerfiguren aka „love interests“ der Freundinnen sind mehr oder weniger flach gezeichnet, was ich aber nicht schlimm fand, da ja die Frauen im Mittelpunkt stehen sollen. Etwas mehr Kritik hätte an Kates egoistischem Ehemann Johnny aufkommen können. 

Fazit: Spannende Unterhaltung mit (noch tolerierbaren) Klischees

Immer für dich da ist gute Unterhaltung, die weibliche Perspektiven und weibliche Konflikte in den Vordergrund stellt. Mit Vorsicht zu genießen sind trotzdem einige verwendete Klischees, was Frauenbilder betrifft: Zum Beispiel das der sexuellen Gewalt als Quelle von Stärke, aber auch die eindimensionale Figur von Tullys Mutter, eines „typisch abgedrehten“ drogensüchtigen Hippies, die nichts auf die Reihe bekommt. Der Hauptcast ist durchgehend weiß, nur in den Nebenrollen dürfen PoC vorkommen. Eine queere Figur kommt immerhin am Rande vor. Als positiv hervorzuheben finde ich noch, dass die Serie eine Frau als Showrunnerin hat (Maggie Friedman). Wer auf spannende Unterhaltung steht, die sich um eine tiefe Frauenfreundschaft dreht, ist trotz der genannten Schwächen gut mit der Serie beraten.

Wie hat euch die Serie gefallen? Stimmt ihr meiner Analyse zu?

Ebenfalls um eine komplexe Frauenfreundschaft dreht sich die Buchreihe Meine geniale Freundin von Elena Ferrante. Auf Ant1heldin könnt ihr Rezensionen zu allen vier Bänden nachlesen.

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3 Kommentare

  1. Nadja 17. Juli 2022

    Ich bin auf jeden Fall neugierig geworden und werde mich asap damit auseinandersetzen
    Spannend auch deine Ausführungen über Gewalterfahrung als Stärkequelle/( -legitimation?)
    Danke, war schön zu lesen!

    Antworten
    1. Sabine 25. Juli 2022

      Danke, das freut mich!

      Antworten
  2. Kia Kahawa 11. Juni 2021

    Sehr differenziert und klug beobachtet und beschrieben, danke dafür!

    Antworten

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