Den Auftakt der neuen Artikelreihe bei Ant1heldin, Klassiker unter der Lupe, macht diesen Sonntag eine feministische Kritik zum Filmklassiker Frühstück bei Tiffany. In einer der berühmtesten Szenen des Films erklärt der Mentor von Protagonistin Holly Golightly, O.J.: „She’s a phony, but a real one.” Zu Deutsch etwa: “Sie ist eine Betrügerin, aber eine echte.“ Holly betrügt bewusst, aber sie glaubt an die Lügen, die sie erzählt. Genau so geht der Film auch vor. Er überwältigt uns Zuschauer:innen mit einer übermächtigen romantischen Botschaft und macht uns damit blind für das unausgeschöpfte Potential, das seine Protagonistin eigentlich hat – und dass das Happy End mit dem jungen Helden nicht die einzige Lösung für Holly sein muss.
Frühstück bei Tiffany von 1961 ist ein schräger und humorvoller und gleichzeitig ein zutiefst melancholischer Film. Das unterstreicht die wehmütige Filmmusik von Henry Mancini nur zu gut. Es geht um ziellose Protagonisten, die einsam in der Großstadt New York versuchen, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen. Zum Glück kommt am Ende die Liebe als Erlöserin und wischt alle Zweifel weg. Hach, wie schön, und wie einfach! Auch ich erlag mit Anfang 20 dem Charme des Hollywood-Klassikers vollkommen. Holly hatte ich als witzige, freche Frauenfigur in Erinnerung, die unabhängig lebt, bis die Liebe in Form des blonden romantischen Helden dazwischen kommt und sie eben doch schwach wird.
Dann habe ich den Film noch einmal angesehen und die neue Erkenntnis ist leider: Unter dem feministischem Blick schrumpft Holly zu einem männlichen Wunschbild zusammen. Hübsch und flirty, aber mit ihrer schusseligen, passiven Art alleine nicht lebensfähig – eine etwas frechere Version der „damsel in distress“.
Der Figurenaufbau von Holly Golightly
Frühstück bei Tiffany zeigt eine Frauenfigur, die sich nach außen unabhängig gibt und frech-humorvoll rüberkommt, aber im Inneren ein Kind ist, das bei allem Hilfe braucht. Das ist selbstverständlich nichts, was man von vorne herein an einer Frauenfigur verurteilen muss. Holly nimmt vielmehr die frech-verletzlichen Frauentypen von modernen Rom Coms vorweg, wie sie vielleicht auch Lorelei Gilmore und ähnliche Figuren aus der Popkultur vorstellen. Die selbstbewusst auftretende Single-Frau, die immer einen Spruch auf den Lippen hat, sich aus allen Schwierigkeiten immer herauslaviert und nebenbei eine Menge Männer bezirzt. Bis sie dann in einer Szene ihre wahre Verletzlichkeit zeigt und zugibt, ihr Traum sei es, eines Tages einen Partner zu finden und ein beschauliches Leben zu zweit zu führen. „The whole package“, wie es Lorelei Gilmore einmal in der Serie Gilmore Girls formuliert.
Das ist ein sehr faszinierender Frauentypus. Eine Heldin wie Lorelei oder Holly ist nicht offensichtlich naiv, nicht offensichtlich schwach, sie hat Schwierigkeiten, kommt aber immer wieder gut gelaunt und gut gestylt aus ihnen heraus. Ein Traumbild, dem man selbst als Frau mit einem Seufzen nachhängen kann, denn wie gern wäre man selbst so frech und gewandt wie Holly Golightly. Dieses Bild ist aber zum einen komplett unrealistisch und unterwandert zum anderen – noch viel schlimmer! – jede emanzipatorische Agenda, die eine Frauenfigur auch nur haben kann. Am Ende ist es doch der Mann, der es besser weiß, der alles für die Frau richtet.
Holly Golightly als Vorläufer der modernen, ziellosen Frauenfigur
Es gibt aber auch positive Aspekte dieser Frauenfigur. Als Archetyp der ziellosen, melancholischen jungen Frau war Holly Golightly und mit ihr Audrey Hepburns Verkörperung ein Durchbruch in der Frauenunterhaltung. Sie zeigt, was es bedeutet, sich in der Großstadt als Single-Frau durchzuschlagen. Vorbei war die Zeit der Heldinnen, die von Anfang an unter der Fuchtel von Vätern oder Ehemännern standen und nie einen eigenen Lebensentwurf hatten. Holly kann sogar als die erste weibliche Version des Dandys bezeichnet werden. Sie ist schick angezogen, läuft um 5 Uhr morgens nach durchfeierter Nacht ziellos durch die Stadt und legt eine dauernde Nonchalance an den Tag – beides deutliche Verweise auf die Figur des Dandys und Flaneurs. Alles, was die wirklich wichtigen Entscheidungen des Lebens betrifft, wird ignoriert (z.B.: Wen soll ich heiraten, um ein sicheres Auskommen zu haben?), während über die Wahl der richtigen Ohrringe lange gefachsimpelt wird. Holly Golightly ist die erste Hedonistin der Popkultur. Man bezeichnet sie im Rückblick sogar als die erste moderne Frauenfigur.
Aber auch im Partyrausch einer Holly Golightly ist nicht alles rosig, das darf nicht übersehen werden. Hollys Figur nimmt sich in Frühstück bei Tiffany dem prekären Machtverhältnis an, in dem Frauen sich bewegen – auch heute noch. Holly hat den Traum, es in die High Society zu schaffen, will etwas aus ihrem Leben machen. Der einzige Weg dafür ist für sie, sich an reiche Männer heranzumachen. Sie ist auf männliche Gunstbezeugungen angewiesen, von Bekannten, von Gönnern, von Liebhabern. Daher der Witz mit den 50 Dollar Toilettengeld, die sie ihren Verehrern abluchst. Aber es ist ein Witz, der einen ernsten Hintergrund hat. Holly kann kein eigenes Geld verdienen (zumindest keines, das ihr ein Leben in der oberen Gesellschaftsschicht sichert). Daher träumt sie immer von Sicherheit und Ruhe und deshalb geht sie auch zu Tiffany’s, wenn sie Angstzustände hat (sie nennt es „having the mean reds“). Sie beschreibt Tiffany’s als „calm“ und „proud“, alles, was sie selbst gerne wäre, aber in ihrem Abhängigkeitsverhältnis zu Männern nicht sein kann. Sie ist nicht einfach nur materialistisch und mag teure Diamanten. Es gibt für sie ganz einfach die traurige Gewissheit, dass es am Ende nur zählt, welche finanziellen Zugeständnisse ein Mann für sie macht. Sie muss so denken.
https://www.youtube.com/watch?v=hQ_O15kYlCI
Prüderie von Hollywood – verpasste Chancen bei der Filmadaption
Frühstück bei Tiffany ist bekanntlich nach der Vorlage der Novelle Breakfast at Tiffany‘s von Truman Capote entstanden. Er war ähnlich wie seine Figur Holly ein Partylöwe und Liebling der High Society in den 50er Jahren. Die Novelle ist allerdings viel offener mit sexuellen Themen. Hollys Gelegenheitsprostitution wird offen zur Sprache gebracht. Einmal tauscht sie sich mit einer Freundin darüber aus, wie lästig sie den Sex mit Kunden findet, die sie körperlich abstoßen. Davon ist die Filmversion freilich weit entfernt. Mir ist im Gegenteil aufgefallen, wie asexuell Holly gezeichnet ist. Aber irgendwie passt es ins Bild. Holly soll flirty und frech sein. Sie turnt die Männer an, lässt sie aber immer wieder abblitzen, damit sie weiterhin das Klischee des unsicheren, unschuldigen Mädchens erfüllen kann. So sieht sie der männliche Protagonist Paul und so wollte der männliche Kinozuschauer in den 60ern eine Heldin sehen. Auch, als sich die zarte Romanze zwischen Holly und Paul entspinnt, wehrt sie seine körperlichen Annäherungsversuche zunächst ab. Zu ihrem älteren Verehrer José, den sie gegen Ende des Films heiraten möchte, führt sie eine niedliche, gänzlich unerotische Vater-Tochter-Beziehung. Sie scheint immer nur Begehren zu erzeugen, aber kein eigenes Begehren zu besitzen. Damit erinnert sie an eine Lolita-Figur wie von Vladimir Nabokovs Skandalroman (sie hat ja auch keinerlei weibliche Rundungen, ist das Idealbild einer Kindsfrau).
Romantik-Konzept im Film Frühstück bei Tiffany
Zu Hollys Verletzlichkeit und Ziellosigkeit muss selbstverständlich ein starker Held kommen, der ihr die Sicherheit gibt, die sie braucht. Blöd nur, wenn er diese Beschützergeste ausnutzt, um sie zugunsten seines Egos zu erniedrigen. Holly zeigt ihm nach der ersten gemeinsamen Liebesnacht die kalte Schulter und will weiterhin ihren argentinischen Millionär José heiraten. Paul hat daraufhin nichts Besseres zu tun, als sie zu bedrängen. Als alles nichts hilft, muss er sie mit einer Bezahlung von 50 Dollar (die sie auch immer von ihren männlichen Bekanntschaften bekommt) erniedrigen. Der Gedanke, dass Holly ihn vielleicht doch nicht brauchen könnte, ist zu viel für sein Ego. Da kann es ja nur die eine Erklärung geben: Sie ist eine Prostituierte, deshalb will sie dich nicht.
Dieses männliche Anspruchsdenken ist typisch für alle Romance-Romane und Rom-Com-Filme vom konventionellen Schlag. Was, die Frau will nicht? Ach, eigentlich will sie ja doch. Zur Not muss man sie halt zwingen. Wenn nötig, mit Stalking, Daueranrufen, vermeintlich „romantischen“ Übergriffen ins Privatleben oder, wenn es nicht anders geht, mit verbaler Erniedrigung.
Am Ende gibt es die berühmte Szene im Regen. Hollys argentinischer Verlobter hat sie im Stich gelassen, aber sie will trotzdem das Flugticket nach Argentinien nutzen, um ein neues Leben anzufangen. Das kann Paul nicht zulassen. Er redet ihr ein, dass ihr ganzer Lebensentwurf Schwachsinn sei und dass nur ein Leben mit ihm die Lösung für alle ihre Probleme sei:
Paul: „Holly, I love you.”
Holly: “So what?“
Paul: „So what? So plenty! I love you and you belong to me!”
Holly: “No. People don’t belong to people.”
Paul: “Of course they do!“
Holly: „I will never let anyone put me in a cage!” (worauf er wieder wiederspricht usw. … Man sieht: ihre Sicht der Dinge spielt keine Rolle.)
Als aufgeklärte Zuschauerin von heute fragt man sich schon: Warum ist seine Liebe die Lösung für alles? Klar, um der Romantik willen, aber im Ernst: Warum ist Pauls Angebot das beste? Warum muss sich Holly binden? Aber natürlich tut sie es, weil es für sie kein Leben ohne eine männliche Führung geben darf.
Alles in allem muss man Holly leider als extrem passive Frauenfigur beschreiben. Sie wird von Mann zu Mann „gereicht“ und ist ohne die Hilfe von Männern nicht lebensfähig. Sie kann nicht einmal einen eigenen Hausschlüssel aufbewahren und lässt sich ihre Finanzen von einem fremden Mann im Gefängnis regeln (Sally Tomato, der sie auch noch als Botschafterin für seine kriminellen Tätigkeiten missbraucht). Ohne Pauls Hilfe schafft sie es nicht, mit ihrem Ex-Mann Schluss zu machen. Als sie in ihrer Trauer über den Tod ihres Bruders ihre Wohnung anfängt zu zertrümmern, packt Paul sie wie eine Puppe und legt sie aufs Bett. Sie ist immer den Männern unterworfen, egal, in welcher Lebenslage. Das wird gleichzeitig aber nie angesprochen oder im Mindesten kritisiert, sondern als gegeben hingenommen. Daher fällt der Feminismus-Faktor bei Frühstück bei Tiffany reichlich niedrig aus.