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Popkultur unter der Lupe

„Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ – gewitztes Mädchen trifft passiven Prinzen

La la la la la la la la la la – la la la la la la la laaa – um welchen Film geht es hier? Ganz klar, den Weihnachtsklassiker Drei Haselnüsse für Aschenbrödel! Der deutsch-tschechische DEFA-Märchenfilm wurde im Winter 1973 gedreht. Wegen seiner Schneekulisse und seiner witzig-romantischen Art ist er zum absoluten Must-See an Weihnachten mutiert. Kein öffentlich-rechtlicher Sender, der ihn während der Feiertage nicht mehrmals zeigen würde. Selbst Netflix hat ihn schon mehrere Jahre im Angebot. Fragt man erwachsene Frauen auf der Straße, so hat wohl jede zweite den Film schon als kleines Mädchen an Weihnachten gesehen. Ein Grund für seine Beliebtheit ist sicher, dass die Märchenheldin dort erstaunlich gewitzt und frech rüberkommt. Für die „Klassiker unter der Lupe“ werfe ich einen Blick auf die Geschlechterverhältnisse bei den Drei Haselnüssen für Aschenbrödel. Gerade beim Weihnachtsfilm, der noch stärker als der klassische Liebesfilm den Hunger des Publikums nach Harmonie, Romantik und Sicherheit befriedigen soll (und das gilt besonders für die Klarheit der traditionellen Geschlechterbilder), tauchen vermehrt Rollenklischees auf. Aber vielleicht gibt es bei Aschenbrödel ja doch einen feministischen Anklang – wer weiß?

Drei Haselnüsse für Aschenbrödel DVD-Cover

Märchen oder Märchenparodie? Es bleibt unklar

Jede:r kennt ihn oder zumindest Ausschnitte davon und die Titelmusik von Karel Svoboda ist sowieso ein Ohrwurm – an den Drei Haselnüssen für Aschenbrödel kommt man an Weihnachten nicht vorbei. Schaut man sich den Film mit etwas Abstand als Erwachsene:r wieder an, ist mit ziemlicher Sicherheit der erste Gedanke: WTF??! Denn es ist nicht zu leugnen: Der Film ist ziemlich albern. Aufgeplusterte Bettlakenkostüme, goldglitzernde Jagdhüte und Männer in bunten Strumpfhosen sind erst der Anfang! Slapstickhumor und zwei Elternfiguren, die „Dumm und Dümmer“ sein könnten, ziehen den Film ordentlich ins Lächerliche. Es liegt weniger daran, dass er schlecht gealtert ist, obwohl er schon 47 Jahre auf dem Buckel hat. Er scheint viel mehr das Märchengenre ein wenig auf den Arm nehmen zu wollen und weniger an die mystisch-gruseligen Märchen der Gebrüder Grimm, als an die deutsche Familienkomödie der 70er Jahre à la Die Lümmel von der ersten Bank anknüpfen zu wollen. Der Film WILL albern sein, und davon geht sicher ein Teil seines Charmes aus.

Romantischer Zauber und eine selbständige Heldin bei Drei Haselnüsse für Aschenbrödel

Zu einem weit größeren Teil verdankt der Film seine Beliebtheit aber der verträumten, romantischen, auch ein wenig melancholischen Grundstimmung. Die Hauptfigur Aschenbrödel (gespielt von Libuše Šafránková) ist ganz klar das Herzstück des Films. Die Nebenfiguren und sogar der Prinz sind eigentlich austauschbar. Wir Zuschauer:innen fiebern ausschließlich mit der Protagonistin mit, träumen ihre Träume und leiden, wenn sie ungerecht behandelt wird. Das ist umso einfacher, weil das Aschenbrödel eine dankbare Hauptfigur ist: Sie gibt sich nicht auf, fängt an zu kämpfen. Anders als viele übermäßig passive Märchenheldinnen bei den Brüdern Grimm (man denke an Dornröschen, Rapunzel oder auch nur die Originalversion von Aschenputtel) lebt Aschenbrödel hier eigentlich ein relativ freies Parallelleben abseits ihrer unterdrückenden Stiefmutter. Wenn ihr alles zu viel wird, bricht sie aus, geht mit ihrem Lieblingspferd Nikolaus im Schnee ausreiten und klettert auf Bäume. Sowieso ist die Stiefmutter wenig bedrohlich, eher lächerlich und aufgeblasen. Den ganzen Film über versucht sie krampfhaft, ihre Autorität aufrecht zu erhalten, der alle auf dem Anwesen, Aschenbrödel eingeschlossen, nur widerwillig gehorchen. So hat Aschenbrödel eigentlich von Anfang an die Oberhand. Es muss nur eine günstige Gelegenheit kommen, um die lästige Stiefmutter auszutricksen.

Figurenentwicklung bei Drei Haselnüsse für Aschenbrödel

Dann kommt freilich die Romantik ins Spiel. Das Königspaar samt Kronprinz kündigt sich zu einem Besuch an und der ganze Hof steht Kopf. Während sich ihre Stiefschwester Dora rausputzt, um den Prinzen zu beeindrucken, hat Aschenbrödel noch kein Interesse an Männern. Sie geht lieber wieder ausreiten und bedient damit die beliebte Trope der Pferdenärrin aus der Jugendunterhaltung. Damit wird meistens ein junges Mädchen belegt, das kurz vor der Pubertät steht, und dem das (bezeichnenderweise oft männliche) Pferd den romantischen Helden ersetzt. Das Pferd ist der treue Gefährte der Heldin und das Ausreiten bedeutet Freiheit von den Erwartungen der Erwachsenen. Kurz gesagt: Aschenbrödel will noch nicht erwachsen sein, hat für Romantik nichts übrig und scheint noch vor dem Erwachen der eigenen Sexualität zu stehen. Als sie zufällig im Wald auf den Prinzen trifft, zeigt sie sich von ihm auch reichlich unbeeindruckt. Das ist freilich nicht schwer: Er und seine zwei Kumpels stapfen aufgetakelt in Höflingskostümen durch den Schnee und „ballern“ mit ihren Armbrüsten herum. Den erfolgreichen Schuss auf ein Reh vermasselt ihm Aschenbrödel gründlich. Er versucht, sich über das schmutzig angezogene Mädchen lustig zu machen, aber sie gibt Widerworte: „Du wirst doch nicht mit einem kleinen Mädchen raufen wollen?“

Nur wenige Szenen später wendet sich jedoch die Stimmung: Das zuerst so ausgelassene, freche Aschenbrödel vertraut sich ihren tierischen Freunden, einer Eule und einem Hund an: Sie ist unsterblich verliebt in den Prinzen! Wie das so schnell kommen konnte, und warum sich das selbstbewusste Aschenbrödel in diesen albernen Prinzen-Heini vergucken konnte, wird auf ewig ein Geheimnis der Drehbuchautoren bleiben. Hier brechen dann doch wieder die typischen Märchenklischees durch: Allein aufgrund eines hübschen Jungengesichts verliert die Heldin den Kopf und verwandelt sich ziemlich schnell von der Pferdenärrin, die Jungs doof findet, in ein schmachtendes Mauerblümchen. Die drei magischen Haselnüsse (angelehnt an den Reisigzweig aus dem Originalmärchen) unterstreichen die Entwicklung der Heldin zusätzlich. Zuerst wünscht sie sich ein Jägerkostüm, um als Mann verkleidet an der Jagd des Prinzen teilnehmen zu können. Dann aber sind es nur noch typisch weibliche Wünsche, die Aschenbrödel erfüllt bekommt, und die selbstverständlich nur dazu da sind, um das romantische Happy End zu fördern: einmal das rosa Kleid für den Ball und zum Schluss ihr Brautkleid.

Das Geschlechterverhältnis im Film

Interessanterweise ist der Prinz gleichzeitig passiv gezeichnet. Er hat keine Lust, Verantwortung zu übernehmen und läuft ständig seinem Schulmeister davon, um auf die Jagd zu gehen. Sein erzürnter Vater (genauso wichtigtuerisch wie Aschenbrödels Stiefmutter) will ihn verheiraten, damit seine zukünftige Frau ihm endlich die Flausen aus dem Kopf treibt. Anstatt sich dagegen zu wehren, versucht der Prinz nur, dem Konflikt davonzulaufen. Der Ball, auf dem er Aschenbrödel kennenlernt, wird dann auch zur Heiratsauktion, auf der der kindische Prinz „versteigert“ werden soll. Wir sehen die Absicht: der Prinz ist der passive Part, er soll von einer Frau erwählt werden. Aschenbrödel ist der aktive Part, der sich für den Wunschpartner entscheidet und dann alles daran setzt, um ihn zu gewinnen. Außerdem ist sie diejenige, die dem Prinzen beim Erwachsenwerden hilft und ihm damit zeigt, wo es langgeht und worauf es im Leben ankommt: sich auch mal anzustrengen und für das zu kämpfen, was man will. Das ist eine entschieden moderne und emanzipatorische Version des Grimmschen Aschenputtels.

Wie steht es mit der Gleichberechtigung in der Liebe bei Drei Haselnüsse für Aschenbrödel?

Ein kleines Empowerment stellt sich auch ein, als Aschenbrödel dem Prinzen einen vorläufigen Korb gibt. Natürlich ist sie zum Ball gekommen, um den Prinzen wiederzusehen, aber er muss sie sich schon noch ein bisschen verdienen. Wunderbare Absurdität auch hier: Die beiden tanzen für 30 Sekunden, und schon erklärt der Prinz dem geheimnisvoll verschleierten Mädchen seine Liebe und meint, er wolle in die Welt herausschreien, dass er seine Braut gefunden habe. Aschenbrödel entgegnet, dass er sie ja noch nicht einmal gefragt habe, ob sie ihn denn auch wolle. Yes! Um den leichtfertigen Prinzen zu testen, gibt sie ihm ein Rätsel auf:

„Die Wangen sind mit Asche beschmutzt, aber der Schornsteinfeger ist es nicht.
Ein Hütchen mit Federn, die Armbrust über der Schulter, aber ein Jäger ist es nicht.
Zum Dritten: Ein silbergewirktes Kleid mit Schleppe zum Ball, aber eine Prinzessin ist es nicht, mein holder Herr.“

Natürlich kann er keine der drei Fragen beantworten und Aschenbrödel läuft enttäuscht weg. Der Rest des Films richtet sich wieder ziemlich genau an die Grimmsche Vorlage – der verlorene Schuh, die versuchte List der bösen Stiefschwester usw. So richtig gerecht und emanzipiert geht es dabei trotz guten Ansätzen am Ende des Films trotzdem nicht zu. Denkt nur an das „Stalking“ des Prinzen – eine Ablehnung kann er nicht akzeptieren und verfolgt Aschenbrödel auf dem Pferd bis nach Hause. Die Knechte fragen ihn, was er mitten in der Nacht wolle und reagieren mit Gelächter, als er antwortet, er suche die „schöne Prinzessin“. Darauf der Prinz: „Ich weiß nicht, ob sie eine Prinzessin ist, aber sie ist schön. Und sie ist mir hier verloren gegangen!“ Noch unreifer und herablassender kann man ein vorgeblich romantisches Ansinnen wohl kaum ausdrücken. Fehlt nur noch, dass er sich Aschenbrödel unter den Arm klemmt und wegreitet.

Die Prüfung mit dem Rätsel wird am Ende auch wirkungslos. Aschenbrödel gibt ihre Identität schließlich selbst preis und entlässt den Prinzen aus seiner Verpflichtung, sich für seine Angebetete auch mal ein bisschen ins Zeug zu legen.

Feminismus-Faktor bei diesem Frauenklassiker: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel legt mit einer selbständigen und selbstbewussten Heldin ein gutes Fundament. Das wird gegen Mitte des Films aber durch die typischen Romantik- und Märchentropen wieder relativiert. Der Prinz kann noch so doof und kindisch sein, sie muss sich in ihn verlieben – und er muss sich nicht mal groß anstrengen, um sie sich zu verdienen. Trotzdem muss man festhalten, dass Aschenbrödel bei diesem Film eindeutig die aktive Rolle einnimmt und so von der „Jungfrau in Nöten“ auf angenehme Weise – zumindest an manchen Stellen – abweicht. Am Ende ist sogar sie diejenige, die dem Prinzen voraus in eine rosige Zukunft reitet – auch hier zeigt sie ihm wieder, wo es langgeht. Und alle: La la la laaaaaa ….

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