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„Little Women“-Verfilmung von Greta Gerwig – Tausche Nostalgie gegen Feminismus

Ein so großes Phänomen wie Louisa May Alcotts Jugendromanklassiker Little Women erneut zu verfilmen, dazu gehört schon einiger Mut. Regisseurin Greta Gerwig hat es gewagt und unter dem Slogan „Own Your Story!“ eine gehörig entstaubte Version des Buchs von 1868 vorgelegt. Dabei ist die Beliebtheit des Romans gerade bei Mädchen und Frauen ungebrochen. Im Vergleich werden mehrere Unterschiede zwischen Buchvorlage und Adaption sichtbar. Dabei setzt Gerwigs Film auf eine offene feministische Agenda ihrer Figuren und ein moderneres Geschlechterverhältnis. Warnung: Spoiler!

Little Women Verfilmung und Roman

Alle reden über den Film Little Women – zu Recht, denn, wenn sich Greta Gerwig dieses Stoffs annimmt, bleibt es bei keinem austauschbaren Kostümfilm. Die Regisseurin, Drehbuchautorin und Schauspielerin ist für Filme mit rebellischen Frauenfiguren bekannt. Aber was hat es überhaupt mit der Romanvorlage auf sich? Warum ist er so beliebt?

Worum geht es im Romanklassiker Little Women?

Der Roman Little Women erschien 1868 in den USA und wurde sofort ein Erfolg. Es war ein Jugendroman für junge Mädchen und drehte sich um das Coming of Age von vier halbwüchsigen Schwestern (Meg, Jo, Beth und Amy). In Teil 1 geht es um typische Teenager-Nöte, z.B. Eifersucht zwischen den Schwestern, die erste Liebe oder erste Träume vom Berühmtwerden, aber auch um ernstere Themen wie die finanzielle Not der Familie. Der Vater dient als Soldat im amerikanischen Bürgerkrieg. Die beiden ältesten Schwestern Meg und Jo müssen Geld verdienen gehen. Im zweiten Teil werden die Schwestern erwachsen und finden am Ende mehr oder weniger ihr häusliches Glück. Der Verfasserin Louisa May Alcott (1832-1888) brachte der Bestseller und seine drei Fortsetzungen (heute werden Teil 1 und Teil 2 immer gemeinsam unter dem Titel Little Women veröffentlicht) ein eigenes Einkommen ein. Sie hatte zwar vorher schon Kurzgeschichten und Romane für Erwachsene veröffentlicht, aber jetzt konnte sie von ihrem Schreiben leben.

Darum ist die Beliebtheit von Little Women bis heute ungebrochen

Die bis heute andauernde Beliebtheit des Jugendromans ist sicher in der warmherzigen Darstellung der Schwestern mit all ihren kleinen Fehlern zu finden. Der Erzählton ist an vielen Stellen mit einem Augenzwinkern versehen und verzichtet auf dröge Belehrungen, wie man sie vielleicht aus anderer Jugendliteratur der Zeit kennt. In Little Women finden die Mädchen in ihrer Mutter immer eine Vertraute auf Augenhöhe und kleine Lehren ziehen die Heldinnen meist direkt selbst aus ihren Handlungen. Es gibt keine „Stimme aus dem Off“ oder keine zu dem Zweck abgestellte Figur, die mit erhobenem Zeigefinger die „Moral der Geschichte“ zusammenfasst. Bei diesem Thema gibt es nur zwei, drei Ausnahmen, die auch mit dem Geschlechterbild im Roman zu tun haben, dazu folgt weiter unten mehr.

Fest steht aber auch: Ohne die zweitälteste Schwester Jo wäre Little Women nur halb so interessant. Für ihre Zeit kann man sie als relativ progressive Romanfigur bezeichnen: Sie ist ein „tomboy“ (etwa „Wildfang, jungenhaftes Mädchen“) und setzt sich damit von ihren sanfteren Schwestern ab. Außerdem hegt sie den Ehrgeiz, Schriftstellerin zu werden.

Die Verfilmung von Little Women: Mehr Tempo und stärkere Kontraste

Der Unterschied der aktuellen Verfilmung zu den älteren ist, dass Greta Gerwig (die auch das Drehbuch geschrieben hat) sich mehr auf das Erwachsenenalter der Schwestern konzentriert, wie es in Teil 2 des Romans geschildert wird. Von dort aus setzt sie Rückblenden in die Jugend der Mädchen und zu Teil 1 des Buches.

Diese moderne Erzählweise macht dem sonst (vor allem für heutige Lesegewohnheiten) eher sanft dahin plätschernden Plot ordentlich Beine. Die düstere Gegenwart im Film voller Unwägbarkeiten wird der von Jo als idyllisch und sicher erinnerten Vergangenheit gegenüber gestellt. Das erzeugt natürlich mehr Spannung, als wenn alles chronologisch erzählt würde. Die Entwicklung der Schwestern wird stärker betont, weil sie in so großen Kontrast zu ihren jüngeren, unbeschwerten Alter Egos in den Rückblicken gesetzt werden. Die Schwestern sind jetzt keine Kinder mehr, sie müssen Verantwortung für ihr Leben übernehmen, während bereits ein Schicksalsschlag droht: Beth ist schwer erkrankt.

Besonders Jo, grandios dargestellt von Saoirse Ronan, und Amy, gespielt von Florence Pugh, müssen sich jetzt entscheiden, wie sie den Rest ihres Lebens leben wollen. Jo hat literarische Ambitionen, steht aber erst ganz am Anfang ihrer Karriere. Amy möchte Malerin werden, ist aber auch entschlossen, eine gute Partie zu machen, um den bescheidenen Verhältnissen ihres Elternhauses zu entkommen.

Drama, Baby!

Mehrere kleine Verschiebungen im Plot sorgen für mehr Drama in der Adaption im Gegensatz zur Romanvorlage. Das betrifft vor allem die Beziehung von Jo und dem Nachbarsjungen Laurie (Timothée Chalamet), heimliches Traumpaar der Weltliteratur ? Im Roman Little Women sind die beiden seit Teil 1 eng befreundet, und Laurie bewundert Jos unerschrockene und uneitle Art. Aber bei der kindlichen Freundschaft bleibt es natürlich nicht, zumindest nicht von Lauries Seite.

In der Buchversion wird der Liebesdramatik ein bisschen die Spitze genommen, während sie im Film voll ausgekostet wird. Im Buch ahnt Jo Lauries Antrag nämlich schon voraus und geht aus diesem Grund nach New York, in der Hoffnung, dass Lauries Gefühle für sie abkühlen. Denn sie empfindet nur Freundschaft für ihn und möchte ihn als Freund nicht verlieren.

Im Film kommt Lauries Liebeserklärung allerdings aus dem Nichts – und es ist auch sehr viel uneindeutiger, wie Jo denn nun für ihn empfindet, obwohl Gerwig den Dialog fast 1:1 aus dem Roman übernommen hat. Trotzdem sprühen, dank des intensiven Spiels der Darsteller, im Film nur so die Funken, während Jo im Roman vor allem Mitleid mit Laurie hat. In Greta Gerwigs Verfilmung wird die Spannung zwischen den Figuren jedoch fast bis zum Schluss gehalten, wie es unserem modernen Geschmack bei Liebesfilmen entspricht.

Jo flieht im Film erst nach Lauries Liebesgeständnis nach New York. Im Roman dauert es jedoch Wochen, bis Laurie sich selbst entschließt, zu gehen und eine Europareise zu machen. Er wird dort viel mitleiderregender gezeichnet, während er im Film zum romantischen Helden stilisiert wird.

In puncto Tragik legt die Filmversion bei diesem Handlungsstrang sogar noch eine Schippe drauf! Denn Jo entscheidet sich hier noch einmal um und schreibt Laurie später einen Brief, dass sie jetzt doch seine Frau werden möchte. Aber zu spät, Laurie hat sich in Europa bereits mit Jos Schwester Amy verheiratet. Jo kann den Brief zum Glück noch abfangen, bevor Laurie ihn liest. Als Jo den Brief zerreißt, ist die Wehmut in dieser Szene beinahe greifbar. Sie hat sich nicht nur umsonst überwunden (und sich gegen ihre Überzeugung für die Ehe entschieden), sie muss diesen zweiten Abschied von ihrer Jugendliebe auch noch heimlich ertragen. Oh Jo, wer fühlt da nicht mit dir!

Übrigens wird im Film auch Lauries und Amys Beziehung plausibler gemacht – nämlich, indem Amy gesteht, schon immer in Laurie verliebt gewesen zu sein. Im Roman kommt die Verliebtheit zwischen den beiden Figuren dann doch sehr plötzlich. Aber so betont der Film noch ein bisschen mehr die Konkurrenz zwischen den beiden ehrgeizigen Schwestern. Drama, eben!

Lebhaftere, rebellischere Figuren in der Filmversion

Saoirse Ronan und Timothée Chalamet spielen ihre kindliche Seelenverwandtschaft in den Rückblicken im Film ganz herrlich und körperbetont: Keine Szene, in der sie nicht spielerisch rumbalgen, sich umarmen, Wettrennen veranstalten, lebhaft diskutieren oder anders aktiv sind. Das wird im Roman ähnlich angedeutet, nur um einiges braver. Bei ihrem ersten Kennenlernen legen Jo und Laurie im Roman auch nicht einen wilden Ausdruckstanz zusammen hin, wie im Film, sondern eine ganz konventionelle Polka. Insgesamt sind die beiden Figuren im Film lebhafter und mit mehr Kanten ausgestattet als in der Buchvorlage.

Feminismus in Buch- und Filmversion von Little Women

Für Generationen von Leserinnen war Little Women DAS Jugendbuch für weibliches „Empowerment“, weil es dort um junge Frauen geht, die Träume abseits von Ehe und Mutterschaft haben. Aber ist der Roman tatsächlich feministisch? Nach der Lektüre muss ich leider sagen: nein, und der Text gibt auch gar nicht vor, es zu sein.

Vater-Tochter-Beziehungen versus Gleichberechtigung

Das fällt vor allem an der Darstellung der Geschlechterbeziehungen auf. Meg verlobt sich am Ende von Teil 1 mit Lauries Hauslehrer, John Brooke, und die beiden heiraten am Anfang von Teil 2. Mr. Brooke gibt seine Lehrtätigkeit jedoch nach Feierabend nicht auf: Sein Verhältnis zu seiner Ehefrau ist eine ganz furchtbar paternalistische Vater-Kind-Beziehung, die Meg zu einem kleinen dummen Mädchen macht. Als sie sich verloben, sitzt Meg anschließend auf seinem Knie, „wearing an expression of the most abject submission.“ In ihrem jungen Eheleben behält Meg diese Unterwürfigkeit selbstverständlich bei und fühlt sich schuldbewusst wie ein kleines Kind, das Schimpfe fürchtet, als sie eine unkluge Ausgabe „beichten“ muss. Der Mann erzieht, die Frau gehorcht. Mit einer gleichberechtigten Beziehung hat die Beschreibung dieser Ehe nichts zu tun und löst bei der heutigen Leserschaft wohl nur noch Befremden aus.

Der Film löst das Problem, indem Meg und John viel weniger vorkommen. Um Megs Beichte am Abendbrottisch geht es nur nebenbei. So wird der große Zusammenhalt der beiden auch im Angesicht von finanziellen Schwierigkeiten betont und ihre Liebe als romantisches Ideal hingestellt, ähnlich wie es auch im Buch geschieht, aber ohne von der Ungleichheit der Partner zu erzählen.

Bei Jos Plot liegt der Fall leider ähnlich, obwohl sie in Teil 1 von Little Women noch als die rebellische, quasi-feministische Schwester beschrieben wurde. Sie hat bereits einige Kurzgeschichten und einen Roman veröffentlicht, als sie im ersten Drittel von Teil 2 nach New York geht, um Laurie auszuweichen. Sie arbeitet als Gouvernante und schreibt nebenbei sensation stories, übrigens genau wie es auch ihre Erschafferin Louisa May Alcott im realen Leben tat. Sensation stories waren im 19. Jahrhundert schwer in Mode und handelten von Mord, Ehebruch, Leidenschaft und gruseligen Begebenheiten – ganz schön gewagt also für eine weibliche Autorin der Epoche. Das findet auch Mr. Friedrich Bhaer, ein Nachbar in ihrem Mietshaus. Er hält die Schauergeschichten, mit denen Jo gutes Geld verdient, für unmoralisch und redet ihr durch die Blume ins Gewissen, damit aufzuhören. Er vergleicht das Lesen dieser Geschichten sogar mit Alkoholismus. Jo hat leider nichts Besseres zu tun, als sich sofort beschämt zu fühlen und all ihre Geschichten zu verbrennen, denn auch sie lässt sich von Mr. Bhaer belehren wie ein kleines Kind.

Mr Bhaer! Er ist sowieso die größte Enttäuschung bei Little Women! Louisa May Alcott weigerte sich, ihre Heldin Jo mit dem „boy next door“ Laurie zu verheiraten und erfand stattdessen ein ganz und gar komisches love interest für sie. Der gute Mr. Bhaer ist deutscher Einwanderer mit hartem deutschen Akzent, dazu unattraktiv und zwanzig Jahre älter als Jo. Zu seinem Vorteil lässt sich nur sagen, dass er äußerst liebenswürdig ist. Jo freundet sich mit dem älteren Herren an, der Hauslehrer ist wie sie, und lässt sich von ihm Tipps für Pädagogik geben. Das Verhältnis ist genauso ein paternalistisches wie bei Meg und Jo, was ja auch an der oben geschilderten Episode deutlich wird. Warum sich Jo in Mr. Bhaer verlieben sollte, bleibt schleierhaft, aber sie heiratet ihn am Ende des Buches und macht eine Schule mit ihm auf.

Greta Gerwigs Adaption macht sich über diese enttäuschende Entwicklung lustig, indem sie aus Mr. Bhaer einen attraktiven Mann mit sexy französischem Akzent macht, der auch nur ein paar Jahre älter ist als Jo. Er gibt ihr konstruktive Kritik zu ihren Kurzgeschichten, die ganze Beziehung ist also ganz dezidiert eine auf Augenhöhe. Mit einem kleinen Augenzwinkern lässt der Film sogar am Ende offen, ob Jo den attraktiven Fremden überhaupt heiratet. Denn zu diesem Zeitpunkt schreibt sie bereits ihre eigene Geschichte namens „Little Women“ auf und lässt sich nur widerwillig dazu überreden, ihre Heldin – also sich selbst – überhaupt zu verheiraten.

Die Trope der „alten Jungfer“ und Jos Figurenentwicklung

Besonders schön im Roman Little Women ist eigentlich, dass Mrs. March („Marmee“) ihre Töchter wie Erwachsene behandelt und sie nicht drängt, zu heiraten, nur um des Heiratens willen: „,Better be happy old maids than unhappy wives.ʻ“

Das wird leider in Teil 2 wieder ein wenig zurückgenommen, weil dort die Trope der bemitleidenswerten „alten Jungfer“ mit Jos Plot aufgegriffen wird. Nach Beths Tod muss Jo ihren Eltern den Haushalt führen und ist zu deprimiert, um zu schreiben. Kurz vor ihrem 25. Geburtstag erwartet sie nichts mehr vom Leben, als eine „alte Jungfer“ zu werden. Dabei stellen beide, Jo in ihren Gedanken, und die Erzählstimme, die „old spinster“ als bedauernswerte Kreatur dar, die zwar Mitgefühl verdient, aber doch ganz klar ihr Lebensziel verfehlt hat, denn: „they have missed the sweetest part of life“ – nämlich, eine Familie zu gründen. Mit 30 hätten unverheiratete Frauen nur noch die Perspektive,  mit etwas Glück in Würde zu altern, philosophiert die Erzählerstimme halb ernst, halb scherzhaft, aber der Tenor ist klar („to learn to grow old gracefully“). Und auch Jo denkt sich:

„,An old maid, that’s what I’m to be. A literary spinster, with a pen for a spouse (…) and twenty years hence a morsel of fame, perhaps; when I’m old and can’t enjoy it – solitary, and can’t share it, independent, and don`t need it.ʻ”

Das ist dann doch ein ziemlicher Schlag ins Gesicht für alle Leser:innen, für die Jo eine Vorbildfunktion erfüllte. Warum Jo als selbstbestimmte Figur zeichnen, die einen Heiratsantrag ablehnt, weil sie eben nicht von einem Mann abhängig sein will, und sie dann für die letzten 200 Seiten von allem abkehren lassen, was ihren Charakter vorher ausmachte? „independent, and don’t need it“ – ja, denn natürlich ist finanzielle und persönliche Unabhängigkeit nichts wert, wenn man keinen Ehemann und keine Kinder hat, sich nicht den Vorstellungen des Patriarchats beugt. Das ist das traurige Fazit, das Little Women am Ende von Jos Entwicklung zieht.

Realismus? Oder Zugeständnis an die Konvention?

Natürlich ist es eine der Stärken des Romans, die Zweifel und inneren Kämpfe von Jo darzustellen – so kommen sie auch in der Filmversion vor, dazu gleich mehr. Als Frau stand man in den 1860ern mit einem Unabhängigkeitsdrang wirklich alleine da. Trotzdem muss der Einwand gelten, dass Jo ja bereits ein eigenes Auskommen durch ihre sensation stories hatte, bis sie sich den moralistischen Einwänden von Mr. Bhaer beugte. Von Armut wäre Jo also zumindest verschont geblieben. Jo wird einfach ab dem Zeitpunkt, da Mr. Bhaer im Plot auftaucht, viel zu passiv dargestellt.

Dass der drollige Mr. Bhaer im Roman als Jos „Erlöser“ gezeigt wird, bestätigt eine weiteres Mal die patriarchale Sichtweise auf die Frauenfiguren in Little Women. Eine 25-jährige „alte Jungfer“ kann schließlich nichts anderes erwarten, als dass sich ein älterer Herr ihrer erbarmt, der weder attraktiv, noch besonders intelligent ist.

Das fasst das viktorianische Frauenbild vielleicht ganz gut zusammen, wie es der Roman letztendlich propagiert: Eine Frau will geliebt werden, will ein Heim, aber eigene Agenda oder eine eigene Sexualität wird ihr nicht zugestanden. Tatsächlich ist Jo im ganzen Roman immer die Empfangende. Laurie drängt sich ihr auf, und sie bleibt kalt. Und Mr. Bhaer schreitet als rettender Held ein, als sie droht, zu einer „alten Jungfer“ zu werden.

Greta Gerwigs Little Women erschafft wirklich gleichberechtigte Frauenfiguren

Greta Gerwig verpasst ihrer Jo für die Filmversion eine ausgesprochen feministische Agenda. Zum einen ist ihre Ablehnung von Lauries Antrag deutlich stärker durch ihren Unabhängigkeitswillen motiviert als im Buch, wo Jo eben einfach nicht verliebt ist. Aber diese Unabhängigkeit durchzuhalten, fällt ihr nicht leicht. Das Ideal der selbstlos liebenden Frau will sie nicht erfüllen, aber ihr persönlicher Ehrgeiz macht sie auch einsam. Dieses Dilemma spielt Saoirse Ronan sehr schön in dieser Szene:

Ihre Schwester Amy spricht in einem längeren Dialog mit Laurie im Film das offen aus, was Zeitgenossen gerne schönredeten: Nämlich dass eine Frau bei einer Eheschließung alle ihre Rechte aufgibt und es sich daher nicht leisten kann, bloß auf Gefühle zu setzen. Die Männer sprechen von Liebe, aber für Frauen ist die Ehe ein knallhartes Geschäft, weil sie komplett von ihrem Ehemann abhängig sind. Warum sollen sie dann nicht berechnend sein, auf Romantik pfeifen und reich heiraten? Amy zumindest hat keine Angst, auszusprechen, dass sie ganz einfach den besten Deal machen will, den sie bekommen kann: „Don’t sit there and tell me marriage isn’t an economic proposition, because it is.”

Ich mochte ihre Figur im Buch, aber diese kühle, erwachsene Sachlichkeit macht Amy im Film zu einer interessanteren Figur als in der Vorlage. Im Buch spricht sie nur davon, dass sie die Familie mit einer reichen Heirat retten müsse, weil Meg sich ja schon für einen armen Mann entschieden hat und Jo nicht heiraten möchte. Es geht mehr um ein Opfer für die Familie, im Film aber um die Wahrung ihrer eigenen Würde und ihres eigenen Stolzes.

Das eigentliche Verdienst der Romanvorlage

Der Verdienst des Jugendromanklassikers Little Women ist daher nur zum Teil die Befreiung der Frauenfiguren aus alten Rollenbildern. Sicher war es ungewöhnlich, dass Jo im Roman überhaupt schreiben darf und den Mut hat, ihre Texte zu veröffentlichen. Aber all diese Bestrebungen werden zugunsten von alten Idealen wie der heimischen Idylle, der Mutterschaft und dem Gehorsam gegenüber dem Ehemann wieder zurückgenommen.

Amy wollte ja eigentlich mit ihrer Kunst berühmt werden. Das darf sie nicht, sie muss Laurie heiraten, denn ohne romantische Liebe hat eine Frau ihr Leben verfehlt. Jo wird nicht Schriftstellerin, sondern heiratet und ergreift den einzigen Beruf, den Frauen damals zugestanden wird: den der Lehrerin (obwohl es im Roman unklar bleibt, ob sie nicht eher als Hauswirtschafterin fungiert und ihr Mann das ganze Unterrichten übernimmt). Durch Tagebucheinträge von Louisa May Alcott ist heute klar, dass sie Jo am liebsten unverheiratet gelassen hätte, eine schreibende „spinster“, wie sie selbst. Aber das wäre zur damaligen Zeit undenkbar gewesen, das Publikum verlangte nach einem konventionellen Ende, gerade für ein Jugendbuch, das Vorbildfunktion hatte. Deshalb nahm Alcott es sich wenigstens heraus, Jo mit einem komischen älteren Mann zu verheiraten, anstatt sich dem Willen ihrer Fans zu beugen, die sich ein Happy End mit Laurie wünschten. Wenigstens diese kleine Unabhängigkeit gönnte sie sich, bevor sie damit aufhörte, Jugendbücher zu schreiben.

Der eigentliche Verdienst von Little Women ist, Frauenfiguren überhaupt einmal realistisch und abseits des Klischees vom „Angel in the House“ darzustellen (von Beth vielleicht abgesehen). Meg, Jo und Amy fällt es schwer, immer gut und fleißig zu sein. Sie träumen von einem besseren Leben, haben Ehrgeiz. Sie sind echte Menschen, keine Püppchen oder kleine Heilige, die den ganzen Tag nur fromme Gedanken haben. Kurz: Es kommt hier wahrscheinlich zum ersten Mal in der amerikanischen „Mädchenliteratur“ eine weibliche Perspektive zum Tragen. Das hört sich aus heutiger Sicht vielleicht wenig an, war für damals aber viel. Und damit hat Alcott sicher den Weg für weitere Jugendbücher ähnlicher Art geebnet, z.B. Anne of Green Gables.

„Own your story!“ – die Film-Jo ist eine Reverenz an ihre Erschafferin Louisa May Alcott

Der Kontrast ist einfach zu schön: eine Frau, die es wagt, Mitte des 19. Jahrhunderts unter ihrem eigenen Namen Texte zu veröffentlichen und damit auch noch Geld zu verdienen, und im Gegensatz dazu die braven Ehefrauen ihres gehypten Werks: Wer war die Autorin Louisa May Alcott?

Wie es bei vielen literarischen Publikumserfolgen in der Geschichte bereits der Fall war, mochte auch Louisa May Alcott ihr Werk nicht besonders. Sorry, dass ich diese Illusion zerstören muss. Sie mochte es ganz einfach nicht, Jugendbücher zu schreiben, und fand es unangenehm, für etwas gelobt zu werden, was sie selbst nicht schätzte. Im Herzen brannte sie für Themen, die weniger brav und heimelig waren und schrieb am liebsten sensation novels! Little Women schrieb Alcott hingegen allein aus finanziellen Gründen. Nachdem dann die Fanpost anfing, einzutrudeln, und ihre jugendlichen Leserinnen keine andere Frage stellten als danach, wen die Heldinnen denn nun am Ende heiraten würden, war Alcott vollends verärgert: „,Girls write to ask who the little women marry, as if that was the only end and aim of a woman’s lifeʻ“, schrieb sie in ihr Tagebuch. Nach drei Fortsetzungen, die sie ebenfalls nur aus Geldgründen geschrieben hatte, hatte Alcott endgültig genug und ging wieder zu ihren geliebten Schauerromanen über.

Dieser Eigenwille wird auch der Film-Jo verliehen, der Charakter der Autorin verschmilzt in der Adaption also ein bisschen mit dem ihrer Hauptfigur. (Das Haus der Marches im Film ist in Wirklichkeit übrigens das Haus von Louisa May Alcott gewesen.) Die Film-Jo will ihre Heldin eigentlich nicht verheiraten und liefert sich mehrere Diskussionen mit ihrem Verleger. Und insgesamt ist der Rückbezug auf die Metaebene, dass Jo ihre eigene Geschichte, genannt Little Women, im Film veröffentlicht, eine Reverenz an Louisa May Alcott – und ein klarer Akt der Selbstermächtigung. Denn Jo entscheidet selbst, wie ihre Geschichte ausgeht. Die Tagline unter den Filmplakaten für Greta Gerwigs Adaption ist deshalb sehr treffend gewählt.

Quellen:

Louisa May Alcott: Little Women, London: Penguin English Library 2018 (deutsche Ausgaben gibt es u.a. beim Anaconda-Verlag unter dem Titel Betty und ihre Schwestern.)

Greta Gerwig: Little Women, USA: Columbia Pictures u.a. 2019.

„The History of Louisa May Alcott’s Little Women“ von historyextra.com

Girls adored Little Women, Louisa May Alcott did not“ von washingtonpost.com

„We regret to inform you that Little Women is not a feminist novel“ von vulture.com

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