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Die alte Frau als Rebellin: „Everything belongs to the future“ von Laurie Penny

Wenn Sci-Fi auf #metoo trifft: Wer könnte diese Idee besser ausgestalten als Laurie Penny, Feministin, Sozialistin, Journalistin und Bloggerin? In Tagesmedien wie dem englischen Guardian meldet sie sich regelmäßig zu feministischen Themen zu Wort, außerdem hat sie mehrere hoch gelobte Sachbücher zum Thema Sexismus geschrieben, z.B. Meat Market. Female Flesh Under Capitalism von 2011. Mit dem Sci-Fi-Roman Everything belongs to the future wagte sie 2016 einen Vorstoß ins Fiktionale. Leider übernimmt sie sich erzählerisch ziemlich. Pennys Dystopie versucht auf zu wenig Seiten, zu viele spannende Ansätze unterzubringen. Was darunter leidet, sind Figurenzeichnung und „Worldbuilding“.

Everything belongs to the future Laurie Penny

Als mich Sabine von Binge Reader fragte, ob ich bei ihrer Blog-Aktion #WomeninSciFi mitmachen wollte, habe ich natürlich zugestimmt. Bei der Aktion stehen weibliche Sci-Fi-Autoren und ihre Werke im Mittelpunkt. Denn ihr Beitrag zu dieser Genreliteratur wird leider oft unterschätzt und zudem unterstellt, Frauen würden, wenn überhaupt, dann nur „soft Sci Fi“ mit dem Fokus auf Liebesplots schreiben. Dass das Unsinn ist, beweist schon die berühmte Margaret Atwood, daher finde ich es sehr wichtig, die Beteiligung von Frauen hier hervorzuheben.

Everything belongs to the future – darum geht‘s

Meine eigene Science-Fiction-Erfahrung beschränkt sich vor allem auf dystopische Romane und Filme, siehe Blade Runner, Gattaca, Hunger Games und The Handmaid’s Tale. Daher hat mich Laurie Pennys Plotidee bei Everything belongs to the future gleich angemacht. Es geht in diesem Kurzroman um eine Gesellschaftsdystopie gegen Ende des 21. Jahrhunderts, in der nur die Reichen Zugang zu einer lebensverlängernden Droge haben. 100 Jahre Jugend sind keine Seltenheit mehr. Dabei zeichnen die verschiedenen Erzählstimmen das typische Bild einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die Reichen leben in Saus und Braus, während die Armen in den Slums von Oxford, dem Schauplatz des Romans, mehr schlecht als recht überleben. Dystopisch wird’s zusätzlich mit der Erwähnung von Überschwemmungen, die den armen Teil von Oxford regelmäßig unter Wasser setzen. Die Erderwärmung hat in diesem Szenario längst dramatische Folgen nach sich gezogen. Der Plot dreht sich, einfach ausgedrückt, um eine Gruppe punkiger Aktivisten, die gegen das Vorrecht der Reichen auf lebensverlängernde Mittel kämpfen und die kleinen blauen Wunderpillen stehlen, um sie Robin-Hood-mäßig umsonst an die Armen zu verteilen. Die Erfinderin der Droge, Daisy, schlägt sich heimlich auf die Seite der Aktivisten. Gemeinsam planen sie eine Unterwanderung des Establishments.

Der Reiz an dieser Dystopie – und ihr Versagen

Das Motiv des „Jungbrunnens“ ist in der Sci-Fi natürlich nichts Neues. Einige Kinofilme haben das Thema schon behandelt, z.B. Elysium, wo die reiche Oberschicht auf einer Raumstation lebt und alle Mittel hat, Krankheit und Alterung am menschlichen Körper zu verhindern. Das macht aber nichts, denn der Reiz an Dystopien liegt ja darin, Szenarien zu entwerfen, die gar nicht so unwahrscheinlich und daher umso beunruhigender sind. Von diesen Szenarien gibt es natürlich nicht unendlich viele, wenn man als Autor*in auf aktuelle Diskurse und deren zukünftige Implikationen verweisen möchte. Das wäre bei Everything belongs to the future das Gedankenspiel eines ins Extreme gesteigerten Jugendwahns. Diese spannende Grundprämisse hätte Laurie Penny daher mit ein bisschen mehr Geduld in eine überzeugende Story gießen können. Das hat sie leider versäumt.

Der kurze Text (114 Seiten) ist überfrachtet mit schwergewichtigen Ideen, die dann nicht ausgeführt werden. Wirklich an allen Ecken und Enden fehlt es an Erklärungen. Entwicklungen werden nur angerissen, Figuren bleiben flach, ihre Handlungen wirken unmotiviert. Warum Laurie Penny nicht einfach einen Roman in vollständiger Länge geschrieben hat, ist mir unverständlich. In ihrem Text gibt es so viele spannende Ansätze, die einen langen Text mühelos gefüllt hätten, z.B. die ganze Geschichte rund um die Entwicklung der Droge und ihre Auswirkung auf die dargestellte Gesellschaft. Bei der Kürze des Textes bleibt ein überzeugendes Worldbuilding jedoch auf der Strecke.

Fehlendes Worldbuilding

Wo ist die Science in dieser Fiction?

Das fängt schon mit der Idee an, die dieser Dystopie zu Grunde liegt, der lebensverlängernden Droge („the fix“ genannt): Ihre genaue Wirkung wird zum Beispiel nicht erklärt. Sie verzögert das Altern ab dem Tag der Einnahme extrem. Darüber hinaus: Wenig. Verhindert sie auch alle Krankheiten? Vermutlich, es wird aber nicht erläutert. An einer Stelle erklärt Protagonistin Daisy, die Droge bestehe aus einem Pilz, der irgendwie in den Körper eingreift. Ein bisschen mehr Details und Recherche wären hier angemessen gewesen. Ohne weitere Informationen, die dieses plot device glaubwürdiger machen, wirkt die grundlegende Prämisse der ganzen Erzählung ein bisschen wie ein billiger Jahrmarkttrick. Von den vampirhaften (entschuldigt!) Beschreibungen der „fixer“ ganz zu schweigen: „there was an uncanny smoothness to the skin, a ghastly glisten that made them doll-like.“ (S. 19) Wer wird hier auch an Twilight erinnert? *hust*

Ebenso bleibt es unklar, ob es einen Schwarzmarkt mit der Droge gibt und warum die Aktivistengruppe im Roman die Droge so völlig ungestört kostenlos verteilen kann.

Für die Glaubwürdigkeit dieses Sci-Fi-Romans sprechen einige Details zum technologischen Fortschritt (zum Beispiel Minichips, die Spion Alex unter dem Fingernagel verstecken kann). Erstaunlich altmodisch wird hingegen der Zustand der Gesellschaft dargestellt. Transfeindlichkeit, Sexismus und Rassismus bzw. Islamfeindlichkeit sind immer noch genauso große Themen wie heute in der Realität. Das könnte glaubwürdig sein, wenn man diese fehlende Entwicklung denn erklären würde. Stattdessen sind die 80 Jahre, die zwischen unserer Zeit und dem Handlungszeitpunkt des Romans bestehen, nur eine einzige große Leerstelle.

Toll angelegte (Frauen-) Figuren, leider ohne Tiefgang

Wirklich schade ist allerdings, dass Everything belongs to the future uns keine Chance lässt, eine Verbindung zu den Figuren aufzubauen. Penny bemüht sich, Figuren sprechen zu lassen, über die sie vermutlich selbst gerne lesen würde: Es sind fast nur Figuren abseits von heteronormativen Geschlechts- und Sexualitätszuschreibungen wie die bisexuelle Daisy oder der trans Mann Fidget. Darüber hinaus gibt es mehrere unabhängige Frauenfiguren, wie eben Daisy oder auch die Aktivistin Nina.

Der gute Wille, interessante Figuren zu schaffen, reicht aber leider nicht aus, wenn es bei oberflächlichen Charakterisierungen bleibt. Alle Beschreibungen vom Innenleben der Figuren wirken gehetzt, wie hastig zusammengeflickt. Daisy, die ewig wütende greise Frau im Körper eines Teenagers, muss noch schnell eine rührselige Liebesgeschichte aus der Vergangenheit verpasst bekommen. Diese Erinnerungssequenz ist aber völlig unmotiviert in den Plot gepresst und verfehlt so ihre Wirkung. Ich hätte stattdessen so gern mehr über Daisys Werdegang erfahren. Oder warum sie sich dazu entschieden hat, die Droge schon im Alter von 14 Jahren einzunehmen, was dazu führt, dass sie für immer im unfertigen Körper einer Pubertierenden feststeckt. Die Erzählstimme erklärt etwas nebulös: „Daisy had not had fun of any kind since she could remember, but particularly not horizontal fun involving other humans. Keeping her appearence static at awkward mid-puberty helped with that.“ (S. 24). Was diese Andeutung genau bedeutet, bleibt unklar (ist Daisy asexuell und legt gar keinen Wert auf körperliche Intimität? Und ist deshalb froh über einen unterentwickelten Körper? Wer weiß.). Das ist nur ein Beispiel für vergeudetes Erzählpotential in Everything belongs to the future.

Wie viel Laurie Penny bekommt man bei Everything belongs to the future?

Laurie Pennys erster Roman ist alles andere als leichte Unterhaltung, wie schon angedeutet. Neben zwei komplexen Erzählsträngen gibt es noch einen theoretischen Überbau in diesem Text. Zwischen den Erzählteilen aus Daisys oder Alex‘ Sicht erscheinen fiktive Briefe, die eine anonyme Schreiberin aus dem Gefängnis an die Protagonistin Daisy richtet. Darin stellt sie philosophische Überlegungen in Bezug auf das Recht der Reichen auf ewige Jugend an. Dabei rutscht sie gerne mal ins Schwadronieren ab: „The truth is that life extension itself is not sinful. The only sin is to treat time as privilege. … We discovered the fountain of youth, and then we put it behind high walls and poisoned its promise.“ (S. 36). Als Leserin fühle ich mich da doch ein bisschen für dumm verkauft. Ach nee, den Reichen noch mehr Macht zu geben hat nicht zum Zusammenhalt in der Gesellschaft beigetragen? Wer hätte das gedacht? Die Regel „show, don’t tell“ gibt’s wahrlich nicht umsonst. Zeig‘ die Auswirkungen der Droge doch in der Erzählung und an den Figuren, liebe Laurie, und nicht in einem erklärenden Text.

Aber, das muss ich anmerken: Die anonymen Briefe im Roman enthalten auch einige sehr gute gendertheoretische Überlegungen, wie man sie aus Laurie Pennys Sachbüchern kennt. Die beste Stelle ist diese: „The aging woman is a special object of horror in this gerontocracy.“ (S. 86). In der Dystopie von Everything belongs to the future ist die Droge im allgemeinen Verständnis für Frauen ein größerer Segen als für Männer. Frauen haben mehr zu verlieren, weil sie, mehr als Männer, auf ihr Aussehen reduziert werden. Daher stellt die anonyme Schreiberin, die es einfach nur „wagt“, zu altern, eine Rebellin dar. Allein ihre „Hässlichkeit“ ist ein Akt des Widerstands. Lasst uns beten, dass das Altern in unserer Gesellschaft niemals zu einem rebellischen Akt wird.

Diese Ausgabe habe ich gelesen: Laurie Penny, Everything belongs to the future, Tor Books: New York 2016.

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1 Kommentar

  1. -Leselust Bücherblog- 12. Januar 2019

    Liebe Sabine,
    Ich möchte schon ziemlich lange mal was von Laurie Penny lesen. Ich wusste gar nicht, dass sie auch einen Roman geschrieben hat und dachte gerade, dass das doch ein guter Penny Einstieg für mich sein könnte. Nach deiner Rezension werde ich aber wohl doch lieber zu einem ihrer Sachbücher greifen.
    Liebe Grüße, Julia

    Antworten

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