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„Rabenvater Staat“ von Jenna Behrends – über Eltern- und Frauenrechte

Werbung/Rezensionsexemplar Durch das Online Magazin Edition F wurde ich bereits vor ein paar Monaten auf Jenna Behrends‘ Sachbuch Rabenvater Staat aufmerksam gemacht. Zur Leipziger Buchmesse 2019 hatte ich dann die Gelegenheit, an einem vom dtv organisierten Meet&Greet mit der Autorin teilzunehmen – vielen Dank noch einmal dafür und für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

In Rabenvater Staat geht es um die deutsche Familienpolitik und warum sie an vielen Stellen immer noch ein veraltetes Familien- und Geschlechterbild unterstützt. Das Spannende: Die Autorin Jenna Behrends macht konkrete Vorschläge, welche Reformen die Familienpolitik bräuchte, um Eltern das Leben leichter zu machen oder überhaupt wieder einen Anreiz zu schaffen, dass junge Paare Kinder bekommen. Mit dem Kindergeld allein ist es nämlich sicher nicht getan. Frau Behrends schreibt für Eltern – aber viele der von ihr angeprangerten überholten Regelungen verschaffen vornehmlich Müttern und Frauen*, die einmal Mütter werden könnten, einen Nachteil. Daher lassen sich Eltern- und Frauenrechte oft nicht voneinander trennen. Einige Vorschläge in Rabenvater Staat könnten das Leben von allen als Frauen gelesenen Menschen tatsächlich erleichtern.

Rabenvater Staat Rezension

Puh, meine erste Sachbuchbesprechung! Ich taste mich mal vorsichtig heran. Es wird auf Ant1heldin weiterhin überwiegend um fiktionale Werke und Popkultur gehen, weil ich zu Erzähltem einfach mehr zu sagen habe. Aber eine kleine feine Rubrik mit Sachtexten (gerade zum Thema Frauenrechte und Feminismus) war schon lange überfällig. Mit dieser Rezension erledige ich übrigens auch Aufgabe 7 bei der Lesechallenge #WirlesenFrauen – „Lies das Sachbuch einer Autorin“!

Ein Disclaimer gleich vorweg: Ich habe keine Kinder und weiß auch noch nicht, ob ich mal welche haben möchte. Aufgrund meiner Erfahrungen als Scheidungskind kann ich Familie auch nicht so verklärt sehen, wie Frau Behrends es meiner Meinung nach an einer Stelle in Rabenvater Staat tut („In Familien haben Gefühle noch einen Raum. In einem sicheren geschützten Umfeld lernen wir, mit Trauer und Schmerz umzugehen.“ (S. 10) Ich glaube, dass Familie komplizierter als diese Beschreibung ist.). Aber es ist trotzdem so wichtig, sich über die politischen Realitäten in Deutschland zu informieren, um für sich die beste Entscheidung – also z.B. für oder gegen ein Kind – treffen zu können.

Rabenvater Staat geht darauf ein, an welchen Stellen die deutsche Familienpolitik aufholen muss, damit sich mehr Paare für Kinder entscheiden – und um Eltern den Alltag finanziell und organisatorisch zu erleichtern. Das fängt bei den unübersichtlichen Zuständigkeiten der Behörden an, geht weiter bei dem z.T. katastrophalen Mangel an Betreuungsplätzen für Kinder und hört bei der unfairen Besteuerung von Eltern gegenüber kinderlosen Paaren nicht auf. Jenna Behrends möchte Eltern Mut machen, ihre eigene Leistung vor sich und der Gesellschaft als wertvoll anzuerkennen. Eltern sollen die Politik in die Pflicht nehmen, die sie schon viel zu lange im Stich gelassen hat: „Es wird Zeit, dass wir Eltern auf die Schulter klopfen für all das, was sie ihren Kindern an Werten, Fähigkeiten und Wissen mit auf den Weg geben.“ (S. 10) Nicht umsonst findet hier mit dem Buchtitel eine coole Umdeutung des bekannten verächtlichen Ausdrucks der „Rabenmutter“ statt. Wer soll sich hier mal anstrengen, die alleinerziehende Mutter, die eh schon zwei Jobs hat? Oder der Staat, der nichts tut, um ihre Lage zu verbessern? Jenna Behrends ist übrigens selbst alleinerziehende Mutter einer Tochter.

Absoluter Pluspunkt des Buches: Reale Familien erzählen von ihren Erfahrungen

Um die Missstände in der deutschen Politik deutlicher zu machen, hat Frau Behrends für ihr Buch verschiedene Familien in ganz Deutschland besucht und sie zu ihren Nöten und Wünschen befragt. Auch die spezifischen Probleme von gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kindern oder Patchwork-Familien finden Beachtung (lest hierzu das Kapitel „Politik, die zum echten Leben passt“). Wir leben eben nicht mehr in den 50er Jahren, wo das Familienmodell Mutter-Vater-Kind noch vorherrschte.

Besonders interessant fand ich auch die Gegenüberstellung einiger Statistiken. Was Mütter denken, und was sie denken, dass die Gesellschaft von ihnen denkt, sind nämlich zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. „Zwar bewertet es nur noch jede fünfte junge Frau negativ, wenn die Mutter eines Kleinkindes Vollzeit arbeitet. Aber sie sind der Ansicht, dass gesellschaftlich ein anderes Bild vorherrschte: 62 Prozent glauben, dass es nicht gerne gesehen sei, wenn Mütter Vollzeit tätig seien.“ (S.118). Der gesellschaftliche Druck zur Perfektion auf Mütter ist also nichts, was sich einzelne Feministinnen ausgedacht haben.

Das Buch ist zum Glück für absolute Laien geschrieben. Ich hatte nur wenig Ahnung von Familienpolitik, bevor ich Rabenvater Staat las. Das bedeutet aber auch, dass das Buch an manchen Stellen vereinfacht (und vereinfachen muss) und einige grundlegende politische Strukturen nicht hinterfragt, wie z.B. unser Rentensystem mit dem Generationenvertrag. Aber das hieße, noch einmal ein ganz anderes Fass aufzumachen.

Einige konkrete Vorschläge zur Änderung von veralteten Regelungen fand ich sehr interessant, weil sie auch auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern abzielen:

Wie wäre es mit einem „Vaterschutz“?

Ein Problem, das alle Menschen mit Uterus um die 30 kennen: Arbeitsplatz wechseln? Ist nicht – wer stellt mich jetzt noch ein, wenn ich doch theoretisch in einem Jahr schwanger sein und ausfallen könnte. Dabei bekommen Frauen (und trans Männer) in den meisten Fällen ihre Kinder ja nicht mutterseelenallein (sorry, kleine Punchline), sondern gemeinsam mit einem Partner oder eine Partnerin, der/ die dann ebenfalls Verantwortung übernehmen muss. Jenna Behrends schlägt im Kapitel „Politik, die Familien nicht reinredet“ deshalb einen Vaterschutz vor, der zumindest beim heterosexuellen Beziehungsmodell die Männer* mehr beim „Ausfallrisiko Schwangerschaft“ miteinbeziehen würde. Der Vaterschutz könnte so aussehen, dass alle Männer für 8 Wochen nach der Geburt ihres Kindes nicht arbeiten dürfen. Selbstverständlich würde es das „Schreckgespenst“ der möglichen Schwangerschaft aus den Köpfen der Arbeitgeber nicht völlig verscheuchen, aber zumindest mal den Blick der Gesellschaft darauf lenken, dass auch Männer an der Familienplanung beteiligt sind und ihre Zeit dafür opfern müssen – und ja auch wollen.

Alleinerziehende (Frauen) stärken und die Erwerbstätigkeit von Frauen fördern

Es gibt ein großes Kapitel zum Thema „Politik, die gerecht ist“ – da geht es vor allem um ungerechte Besteuerungen für Eltern und für Alleinerziehende. Ich wusste z.B. nicht, dass Windeln mit dem Luxussteuersatz von 19 Prozent besteuert werden (WTF?). Zudem werden in der Bundesrepublik Deutschland immer noch verheiratete, kinderlose Paare am meisten steuerlich begünstigt. Eltern, aber vor allem Alleinerziehende, werden viel zu hoch belastet. Da das in der Mehrheit Frauen sind, würde eine Steuerreform erheblich zur Gleichberechtigung von Frauen in der Gesellschaft beitragen. Mehr Geld übrig am Ende des Monats bedeutet mehr Wahlfreiheit, nicht noch einen Zweitjob annehmen zu müssen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Diese Frauen könnten sich dann wieder auf ihre eigentlichen beruflichen Qualifikationen konzentrieren. 

Jenna Behrends geht stark auf den Punkt „Erwerbstätigkeit von Müttern“ ein. Denn unser Steuermodell mit dem Ehegattensplitting fördert immer noch das traditionelle Familienmodell eines Alleinernährers (fast immer der Mann) und der Ehepartnerin, die maximal Teilzeit arbeitet und sich sonst um die Kinder kümmert. Damit begeben sich Frauen in eine gefährliche Abhängigkeit zu ihren Ehemännern. Bei einer Trennung können sie oft nicht mehr in der Qualifikationsstufe arbeiten wie vor den Schwangerschaften („die hat ja den Anschluss an die Berufswelt verloren!“), zudem zahlen sie mit einer Teilzeitstelle viel zu wenig in die Rentenkasse ein. Es droht die Altersarmut. Gegen diesen Missstand müsste die deutsche Politik laut Rabenvater Staat z.B. mit dem Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder und der Einführung einer zentralen Vergabestelle angehen. So könnte jede Mutter garantiert an ihren Arbeitsplatz zurück. Eine zentrale Vergabestelle für Kita-Plätze würde nicht nur Eltern die mühevolle Arbeit abnehmen, überhaupt einen freien Betreuungsplatz zu finden, sondern auch den Eintritt regeln (der bisher meist nur zum Sommer möglich ist – was, wenn ein Kind aber im Februar ein Jahr alt wird und einen Kita-Platz braucht?).

Selbstverständlich muss das Credo „Bloß schnell wieder Vollzeit arbeiten“ nicht für jede Mutter (und auch nicht für jeden Vater!) das Richtige sein. Ich bin der Meinung, unser System müsste insgesamt flexibler werden. Eltern müssten sich Arbeit und Familienzeit viel variabler aufteilen können. Klar müssen wir alle für unsere Rente arbeiten. Aber was bringt mir z.B. eine etwas sattere Rente im Alter, wenn ich mich davor 30 Jahre lang in einem Vollzeitjob aufgerieben habe, der mir vielleicht nicht mal so viel Spaß macht, und dafür die Zeit mit meinem Partner und meinen Kindern hinten angestellt habe?

Kleiner Kritikpunkt: Pro oder Contra Ehe?

Meiner Einschätzung nach kann sich das Buch nicht ganz entscheiden, ob es die Ehe gut finden soll oder nicht. Zuerst geht es um die Ungerechtigkeit, dass immer nur verheiratete Paare steuerlich begünstigt werden, unverheiratete aber nicht. Obendrein schauen auch verheiratete Paare mit Kindern gegenüber kinderlosen Paaren in die Röhre. Die Familie solle gefördert werden, nicht die Ehe – ein Satz, den ich sofort unterschreiben würde. An anderer Stelle heißt es dagegen aber, es sei schon ganz richtig, dass der Staat die Ehe fördere. Schließlich solle er Paare dazu ermutigen, gegenseitig für sich Verantwortung zu übernehmen. Ja gut, und das ist nur mit Trauschein möglich? Frau Behrends ist Parteimitglied der CDU und ich denke, das erklärt diese Unentschlossenheit doch ziemlich gut. 

Fazit: Toller Einstieg ins Thema für alle, die sich mit Familienpolitik noch nicht auskennen! Besonders die realen Fallgeschichten und die vielen Statistiken, die zur Unterfütterung der Argumente angeführt werden, fand ich sehr aufschlussreich.

 

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