Werbung/Rezensionsexemplar. Wahrscheinlich stehe ich damit auf weiter Flur alleine da, aber ich habe Scarlett O’Hara wirklich gern. Die einen von euch werden fragen: Wen? Die anderen vielleicht: Ach, ist das nicht diese Diva aus dem Kitschfilm, der immer zu Weihnachten im Fernsehen läuft? Ja, genau die. Aber bitte die Buchversion. Den Roman Vom Winde verweht von Margaret Mitchell habe ich bereits als Kind verschlungen – in der einzigen deutschen Fassung von 1937. Erst als Erwachsene wurde mir allerdings klar, wie furchtbar schief eine Übersetzung gehen kann. Jetzt gibt es endlich eine moderne deutsche Übersetzung des Roman-Klassikers im Kunstmann-Verlag. Ein kleiner Vergleich zwischen alter und neuer Fassung – und warum diese so bitter nötig war.
Das Phänomen Gone with the Wind/Vom Wind verweht
Ja, den Roman Gone with the Wind konnten die Südstaatler 1936 wirklich dringend gebrauchen. Das 1300-Seiten-Epos über eine Frau aus den Südstaaten, die sich während des amerikanischen Bürgerkriegs durchkämpft, war sicher ein willkommener Eskapismus für die Leserschaft, die ihrerseits stark unter den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise litt. Viele Leute mussten ums Überleben kämpfen.
Obwohl der Roman den Kriegstreibern und der Südstaaten-Politik äußerst kritisch gegenüber stand (die Protagonistin Scarlett O’Hara hat für den Patriotismus ihrer Zeitgenossen nichts übrig), fühlte sich die Leserschaft aus den 30ern vollständig in ihrem Weltbild bestätigt. sie sahen in Gone with the Wind eine komplette Verklärung des Bürgerkriegs und der Vorkriegsära. Das ist sicher ein Grund für den großen Erfolg des Romans (der aber auch in den Nordstaaten und weltweit zum Bestseller wurde). Die Verfilmung von 1939 mit Vivien Leigh als Scarlett O’Hara und Clark Gable als Rhett Butler verfestigte dann endgültig das Kitschbild, das viele damalige Leser in dem Roman sehen wollten. Ich habe bereits an anderer Stelle auf die Mängel der Verfilmung gegenüber der Romanvorlage hingewiesen. Sie wird der Vorlage in keinem Fall gerecht.
Unglücklicherweise trug in Deutschland die einzige deutsche Übersetzung von Gone with the Wind ebenfalls dazu bei, dass der Roman weiterhin als „Schmachtfetzen“ gesehen wurde.
Die Mängel der alten deutschen Übersetzung von 1937
Vom Winde verweht hieß die deutsche Übersetzung des amerikanischen Bestsellers, die 1937 erschien. Sie blieb bis heute, 70 Jahre später, die einzige deutsche Fassung des Romans und prägte das Bild, das deutsche Leser:innen von dem Text haben. Drei große Probleme hat diese Übersetzung von Martin Beheim-Schwarzbach allerdings:
Sie verwendet eine (auch für die 30er Jahre!) altmodische, blumige, mitunter schwülstige Sprache. Sie hat mit dem flüssigen, modernen Stil des Originals nichts zu tun. Zweitens der zusätzliche Rassismus, den Beheim-Schwarzbach einfügte, indem er die Sprache der Sklaven zu lächerlichem Radebrechen karikierte. Drittens nimmt die alte Übersetzung Kürzungen am Original vor.
Anhand von drei Beispielen möchte ich kurz darstellen, warum die neue deutsche Übersetzung von Andreas Nohl und Liat Himmelheber so viel besser ist als die alte.
Unterschied 1: der Sprachstil in Vom Wind verweht entspricht jetzt dem Original
Als Margaret Mitchell (Jahrgang 1900) begann, Gone with the Wind zu schreiben, war sie Mitte 20 und Journalistin. Sie gehörte der Ära der „Roaring Twenties“ an, feierte und flirtete gern (sicher eine Parallele zu ihrer Heldin Scarlett) und war stilistisch ein Kind der Moderne und der Neuen Sachlichkeit. Der deutsche Übersetzer Martin Beheim-Schwarzbach schrieb aber in einem sehr blumigen und umständlichen Sprachstil, der den sachlichen Stil des Originals total verzerrt. Es kommen ganz viel schwülstige Dativ-Konstruktionen ähnlich wie dem alten Romantitel vor, z.B.: „Ihr graute vor dem Bilde, das Mammys Worte heraufbeschworen.“ Einfache Vokabeln wie „descent“ werden mit schwülstigen Begriffen wie „Geblüt“ übersetzt.
Im Original heißt es zum Beispiel:
„In her [Scarletts] face were too sharply blended the delicate features of her mother, a Coast aristocrat of French descent, and the heavy ones of her florid Irish father.”
Beheim-Schwarzbach machte daraus:
“Allzu unvermittelt zeichneten sich in ihrem Gesicht die feinen Züge ihrer Mutter, einer Aristokratin aus französischem Geblüt, neben den derben Linien ihres urwüchisgen irischen Vaters ab.“
In der neuen Übersetzung von Himmelheber/Nohl heißt es:
„Zu wenig harmonierten in ihrem Gesicht die feinen Züge ihrer Mutter, einer Ostküsten-Aristokratin französischer Abstammung, mit den derben ihres rotgesichtigen irischen Vaters.“
Und noch eine Stelle, die die Betulichkeit, die an vielen Stellen in der alten Übersetzung auftaucht, gut darstellt:
Original:
„Why, he means the boys are a passel of fools!, thought Scarlett indignantly, the hot blood coming to her cheeks”.
Beheim-Schwarzbach:
“Der hält wahrhaftig die Jungens für lauter Esel! Scarlett war empört. Das Blut stieg ihr heiß in die Wangen.“
Himmelheber/Nohl:
„Was fällt ihm ein? Er hält die Jungen für einen Haufen Trottel!, dachte Scarlett empört, und das Blut schoss ihr in die Wangen.“
Die schwülstige Wortwahl wurde in der neuen Übersetzung jetzt durch sachliche ersetzt, die Satzstruktur annähernd so einfach wie im Original gehalten. Außerdem enthält die alte Übersetzung natürlich viele altmodische, nicht mehr gebräuchliche Begriffe (wie eben „Jungens“). Aber auch hier haben die Übersetzer:innen bei Vom Wind verweht darauf Acht gegeben, möglichst zeitlose Begriffe zu verwenden. Ich denke, der Vorteil der neuen Übersetzung wird hier deutlich.
Unterschied 2: die Sprache der Sklaven zieht sie nicht mehr ins Lächerliche
Einen viel größeren Fehlgriff tat Beheim-Schwarzbach aber mit der rassistischen Verzerrung in der Sprache der Sklaven. Im Original sprechen sie eine Form des „black vernacular“, das in der amerikanischen Literatur weit verbreitet ist und eben ganz einfach den Dialekt der Afroamerikaner wiedergeben soll. In Gone with the Wind hört sich das z. B. bei Scarletts alter Amme Mammy so an:
„What gempmums says an‘ what dey thinks is two diffunt things. An Ah ain’ noticed Mist’ Ashley axing fer ter mahy you”.
In der alten Übersetzung wird Mammys Dialogzeile mit Radebrechen in Infinitiven übertragen:
„Was ein Herr sagen und was er denken – gar nicht dasselbe! Und ich haben nicht gemerkt, daß Mr. Ashey um dich anhalten.“
Anstatt Mammys Figur mit falscher Grammatik ins Lächerliche zu ziehen, wird in der neuen Übersetzung versucht, die verschliffene Aussprache ihres Dialekts mit Auslassungen wie bei „nich“ wiederzugeben (im Original eben mit veränderter Orthographie dargestellt):
„Was’n Gentleman sagt und was er meint, is nich dasselbe. Und ich hab nich gehört, dass Mister Ashley gefragt hat, ob du ihn heiraten willst.“
So macht die neue Übersetzung einen Rassismus rückgängig, der nur in der alten deutschen Übersetzung vorkommt, nicht aber im Original. Allein schon dafür hat sich die Neuübersetzung gelohnt, finde ich. Den Sklaven wird so ein Großteil ihrer Würde zurückgegeben.
Wenn ihr euch noch mehr für die Rassismus-Thematik bei der Übersetzung von Gone with the Wind interessiert, empfehle ich euch das Interview, das ich mit den Übersetzer:innen Andreas Nohl und Liat Himmelheber für Tralalit geführt habe. Tralalit ist eine Plattform, die übersetzte Literatur würdigt. Im Interview sprechen die Übersetzer:innen z.B. darüber, ob der Roman an sich eine rassistische Absicht hat, also ob die Erzählerstimme sich rassistisch äußert (ich kann hier schon vorwegnehmen: nein!), oder ob der Roman eben einige rassistische Figurentypen nach dem Vorbild der Zeit darstellt.
Unterschied 3: die Neuübersetzung ist jetzt vollständig
Im Interview sprach Herr Nohl mit mir von 70-80 Kürzungen im Roman (der gut 1300 Seiten enthält). Es handelt sich z.T. nur um Nebensätze, manchmal aber auch um ganze Sätze, Absätze oder Absatzfolgen. Herr Nohl meinte sogar, dass Beheim-Schwarzbach z.T. vom Sinn her das Gegenteil von Margaret Mitchell schreiben musste, damit nach der Kürzung der Übergang wieder gelingt (siehe Interview). So kann man die alte Übersetzung als Überarbeitung des Originals ansehen. Mit der Neuübersetzung liegt Vom Wind verweht jetzt zum ersten Mal vollständig vor.
Zusatzplus: Die Neuübersetzung enthält ausführliche Anmerkungen, die die Hintergründe und den Zeitgeist des amerikanischen Bürgerkriegs in den Südstaaten erklären. Wer daran Interesse hat, wird hier auf seine oder ihre Kosten kommen.
Quellen:
Margaret Mitchell/Liat Himmelheber/Andreas Nohl: Vom Wind verweht, München: Kunstmann-Verlag 2020.
Margaret Mitchell/Martin Beheim-Schwarzbach: Vom Winde verweht, Hamburg: Rowohlt 1990 (Erstausgabe der deutschen Übersetzung: 1937).
Margaret Mitchell: Gone with the Wind, New York: Simon & Schuster 2008 (Erstausgabe erschienen bei Macmillan Publishing Company 1936).
Vielen Dank an den Kunstmann-Verlag für das Rezensionsexemplar.
Das ist ein total interessanter Vergleich/Beitrag! Ich finde, für Übersetzungen ist Black Vernacular immer eine große Herausforderung, bei der mir selbst oft keine gute Idee einfallen würde, wie es zu lösen ist, aber es geht natürlich nicht, dass es einfach mit falscher Grammatik, die die Figuren dann automatisch dumm klingen lässt, übersetzt wird. Und die Lösung, die die Neuübersetzung gefunden hat, ist eigentlich gar nicht schlecht. Mir ist das zuletzt auch bei dem deutschen Hörbuch zu To Kill A Mockingbird negativ aufgefallen, da wird auch eher mit ungebeugten Verben gearbeitet, wenn ich mich richtig erinnere.
Ich habe übrigens neulich im Gespräch mit einer Übersetzerin erfahren, dass es im Deutschen sehr gängig ist, einfach Sachen zu kürzen, v.a. wenn es sich um Wiederholungen handelt und weil Deutsch ja eh schon so viel länger ausfällt als z.B. Englisch. Schon ein bisschen erschreckend, aber eine gute Übersetzung geht natürlich eh nicht Wort für Wort vor.
Danke für das Beispiel.
Hatte schon mehrfach das Buch empfohlen bekommen, aber stehts mit der bemerkung: dass liest sich sehr altbacken…
Zu den rassistischen Dialogen: Gott,so was nervt so extrem!
Kenn das aus andren Büchern und freu mich immer tierisch, wenn versucht wird, der Dialekt/Slang zu übertragen :3
Danke dir sehr für diese Gegenüberstellung! Vor Weihnachten wollte ich dazu die Veranstaltung im Literaturhaus München besuchen, habe es aber leider nicht mehr geschafft. Umso besser, dass ich deinen Artikel gefunden habe.
Auch ich habe die alte Übersetzung als Jugendliche gelesen und fand sie immer etwas angestaubt. Schön, dass es nun eine Neuübersetzung gibt, die dem Original gerecht wird und die sich lohnt.
Lieben Gruß
Dominique