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Coming of Age: Frauenfiguren werden erwachsen Film Popkultur unter der Lupe

Feministische Horror-Heldinnen im Film

Hier ist er, etwas verspätet, mein feministischer Take auf das Horror-Genre. Der Fokus auf Film-Heldinnen war zu Anfang nicht intendiert, hat sich aber so als stimmig herauskristallisiert. Denn ich habe beobachtet: Frauenfiguren sind im Horror-Film vor allem dann unheimlich, wenn sie ihre eigene Agenda bekommen – sei es durch das Erwachsenwerden oder einfach nur das Ausbrechen aus einer bedrohlichen Situation.

Horror-Filme mit starken Heldinnen

© Fox Searchlight Pictures, Logan Pictures/Spectre Vision, Legendary Pictures/Double Dare You Productions

Gleich zu Anfang: Ich bin kein ausgesprochener Horror-Fan, habe aber natürlich auch schon ein paar Klassiker wie Das Schweigen der Lämmer oder als Teenager Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast gesehen (die Nuller Jahre, OMG!).

Gothic Horror sagt mir mehr zu, weil es da weniger um Slasher-Elemente oder Jump Scares geht, sondern mehr um sich subtil steigernden Grusel. Klassischerweise stehen Frauenfiguren im Zentrum, die sich in ihrem Zuhause gefangen fühlen und versuchen, der Beklemmung ihres Zuhauses auf den Grund zu gehen und/oder von dort auszubrechen (z.B. „Rebecca“, Roman und Filmadaption). Das ist dann meistens auch aus feministischer Sicht interessant.

Gothic Horror entstand im späten 18. Jahrhundert in England und hat sich dann über das gesamte 19. Jahrhundert (vor allem im englischsprachigen Raum) weiterentwickelt. Aber auch bis heute gibt es immer wieder neue Spielarten, siehe z.B. The Little Stranger (2009) von Sarah Waters. Dort manifestieren sich die Ängste einer obsolet gewordenen Upper Class in England nach dem Zweiten Weltkrieg in einem Spuk in einem alten Herrenhaus. Die Filme, die ich in diesem Artikel bespreche, kann man mehr oder weniger dem Gothic-Genre zurechnen (auch wenn sie nicht alle im 19. Jahrhundert spielen). 

(Gothic) Horror als Spiegel patriarchaler Ängste

Nachdem ich schon einige Jahre immer mal wieder (Gothic-) Horror-Filme schaue, stellte sich mir die Frage: Warum sind die dargestellten Frauenfiguren unheimlich? Die Antwort: Sie verhalten sich selbständig, werden erwachsen, oder werden sich ihrer Sexualität bewusst, kurz: Sie bekommen ihre eigene Agenda. Davon fühlt sich die im Film dargestellte patriarchal beherrschte Gesellschaft bedroht. Als Antwort müssen diese Frauenfiguren sterben – wer tot ist, kann keine Grenzen überschreiten. Oder die Frauenfiguren werden bestraft, indem sie zu sadistischen Täterinnen stilisiert werden.

Im Folgenden versuche ich, meine These an verschiedenen Filmbeispielen zu belegen – Spoilerwarnung!

Interview mit einem Vampir (1994) – die Kindfrau als Gefangene des Patriarchats

(Bitte verzeiht die schlechte Bildqualität des Trailers – ich habe leider keinen besseren Trailer gefunden. Hier stimmt wenigstens einigermaßen die Tonqualität.)

Dieser Film gehört zu meinen „All time Favourites“ des Horror-Genres. Anne Rice hat mit der Romanvorlage von 1976 den Prototypus des „Vampirs mit Gewissen“ erschaffen. Ich-Erzähler Louis (Brad Pitt), Plantagenbesitzer in Louisiana Ende des 18. Jahrhunderts, wird von Lestat (Tom Cruise) in einen Vampir verwandelt – und hadert von nun an mit seinem Schicksal. Zu Anfang weigert er sich, Menschenblut zu trinken. Um Louis eine passende „Gefährtin“ zu geben, verwandelt Lestat auch das kleine Mädchen Claudia in einen Vampir (von der Louis zuvor noch, voller Schuldgefühle natürlich, Blut getrunken hatte).

So erschaffen sich die beiden Vampir-Männer eine Tochter, die ihnen jedoch für immer hilflos ausgeliefert ist. Denn sie ist zwar Vampirin, aber in einem schwachen Kinderkörper gefangen. Sie kann nie allein leben, braucht stets den Schutz ihrer Väter. Das führt dann auch zur Krise im Laufe der Handlung. Als Claudia (toll gespielt von der jungen Kirsten Dunst) bewusst wird, dass sie nie erwachsen werden kann, versucht sie voller Erbitterung, sich von ihren Vätern loszusagen – leider ohne Erfolg. Die Tragik von Claudias Figur wird durch die Schwäche von Vampirvater Louis umso schärfer. Er will sie als Gefährtin nicht aufgeben, gesteht ihr aber keine Eigenständigkeit zu – etwa, als er ihr seinerseits eine Gefährtin erschaffen soll.

Das unheimliche kleine Mädchen, das eigentlich eine tödliche Jägerin und geistig schon erwachsen ist, kann als Unterdrückungsfantasie des Patriarchats gelesen werden. Aus Angst vor ihrem Erwachsenwerden und der Unabhängigkeit, die sie damit erlangen würde, wird die „Kindfrau“ Claudia klein und hilflos gehalten. Gruselig, oder?

Crimson Peak (2015) – Gothic Romance mit einem guten Schuss Klischee

Mia Wasikowska spielt in dieser „Gothic Romance“, wie sie Regisseur Guillermo del Toro nannte, die naive Amerikanerin Edith, die Ende des 19. Jahrhunderts den geheimnisvollen britischen Adligen Thomas Sharpe (Tom Hiddleston) heiratet. Sie zieht mit ihm in sein verfallenes Herrenhaus Allerdale Hall, das von den einfachen Leuten der Gegend auch „Crimson Peak“ genannt wird, weil es auf einem Hügel blutroter tonhaltiger Erde steht. Mit im Haus wohnt auch die selbstbewusste Schwester des Bräutigams, Lucille (Jessica Chastain). Es entfaltet sich ein Gothic-Drama par excéllence, das an Bildkraft und detailverliebter Ausstattung kaum zu überbieten ist:
Edith muss nicht nur mit ihrem gruseligen neuen Zuhause fertig werden (das Haus versinkt z.B. in seinem Untergrund, weshalb roter Schlamm nach oben steigt, sodass es zu bluten scheint). Sie wird auch von Geistern heimgesucht, die sie zu warnen versuchen. Wo ist Edith da nur hineingeraten?

Spoiler: Die bösartige Schwester ist schuld. Denn Lucille und Thomas haben schon mehrere von Ediths Vorgängerinnen ermordet, um an das Geld der naiven jungen Frauen zu kommen. Thomas‘ vorherige Ehefrauen starben alle an vergiftetem Tee, der ihnen von der Schwägerin serviert wurde.

Lucilles Figur entpuppt sich im Film als die böse Intrigantin, und mehr noch: sogar als sadistische Psychopathin. In ihrer Kindheit haben sie und Thomas gemeinsam die verhasste Mutter ermordet, wobei Lucille als die Anstifterin zur Tat gezeichnet wird. Mittlerweile unterhalten die beiden sogar eine inzestuöse Beziehung, die Lucille dazu einzusetzen scheint, ihren willensschwachen Bruder weiter unter Kontrolle zu halten.

Lucille ist damit in Crimson Peak die Verkörperung aller ins Düstere verzerrten weiblichen Tugenden – anstatt sich für Mutter und Bruder aufzuopfern, bringt sie die eine um und nutzt den anderen emotional aus. Ihr Geltungsdrang und Wille zur Unabhängigkeit wird gleich in Mordlust und verdrehte Sexualität gesteigert. Das muss Lucille im Film nach der Logik des Patriarchats daher mit Wahnsinn und am Ende mit dem Tod büßen.

Wäre sie die einzige hervorstechende Frauenfigur, wäre Crimson Peak schwer zu ertragen. Zum Glück gibt es Edith, die sich vom verängstigten Mädchen zur selbstbewussten Frau entwickelt und gegen die mordlustige Schwägerin am Ende „ins Feld“ zieht.

Stoker (2013) – ein modernes Gothic-Horror-Drama

(Ich bin ein bisschen stolz, dass ich diese Trailer-Version gefunden habe, denn ich finde, gerade der Popsong im zweiten Teil beschreibt die Stimmung des Films sehr gut.)

Zufällig noch ein Film mit Mia Wasikowska auf dieser Liste: Stoker, eines der wenigen englischsprachigen Werke des südkoreanischen Regisseurs Park Chan-Wook, der als visionärer Filmemacher gilt. Er hat sich mit seiner speziellen metaphernschweren Ästhetik vor allem mit dem Rache-Drama Oldboy international einen Namen gemacht.

Der Film Stoker zeichnet das Coming-of-Age seiner jungen Heldin India Stoker (Mia Wasikowska) als typische Gothic-Horror-Parabel. Sie ist auf mehreren Ebenen gefangen: Einmal in der steril eingerichteten Villa, in der sie abgeschottet lebt, dann in ihrer Außenseiterrolle in der Schule, wo sie statt Freundschaft nur Ausgrenzung und sexuelle Belästigung von Mitschülern erfährt. Drittens in ihren eigenen seelischen Zwängen, wie immer deutlicher wird. Zu ihrer labilen Mutter (Nicole Kidman) hat sie keine Verbindung und muss sich immer wieder anhören, dass sie ihre Rolle als Tochter nicht erfülle. Ihre Bedrängnis wird noch gesteigert, als ihr Vater bei einem Unfall stirbt.

Auf der Beerdigung lernt sie ihren Onkel Charlie (Matthew Goode), Bruder ihres Vaters, kennen, von dem sie vorher noch nie etwas gehört hat. Charlie scheint der typische gut aussehende, „all-american guy“ zu sein. Keiner kann sich seinem Charme entziehen, allen voran Indias Mutter, die quasi sofort eine Affäre mit ihm beginnt. Charlie scheint es aber besonders um die Zuneigung seiner Nichte India zu gehen, um die er regelrecht buhlt. So schwingt bei dieser „Familienbande“ sofort eine inzestuöse erotische Konnotation mit. India bleibt zunächst misstrauisch, denn dass Charlies glatte Fassade nicht echt sein kann, ist ihr, genauso wie dem Zuschauer, ab Minute eins klar. Ich halte Charlies Figur für eine gelungene moderne Version des „gothic villain“ aus dem Schauerroman des 18. und 19. Jahrhunderts, der ja auch oft als verführerisch und gefährlich dargestellt wird und nicht selten mit der Romanheldin verwandt ist.

Trotz Indias Versuchen, Charlie auf Abstand zu halten, kommt er ihr in einer gefährlichen Situation zur Hilfe. India trifft sich zum heimlichen Stelldichein mit einem Mitschüler, der dann aber versucht, sie zu vergewaltigen. Charlie geht dazwischen, fesselt den Jungen – und erschlägt ihn.

Indias gutaussehender, gewalttätiger Onkel ist damit nicht nur „love interest“ und steht für ihr erwachendes erotisches Begehren, er steht sinnbildlich auch für den Teil ihres Ichs, der gegen die unterdrückende Umwelt rebellieren will. Diese Rebellion geht im Laufe des Films noch weiter. Ich verrate so viel: Am Ende mutiert India komplett zum Alter Ego ihres Onkels und wird zur Killerin.

Positiv gesehen, schafft es diese Heldin also, sich selbst zu ermächtigen. Aber diese Ermächtigung funktioniert nur über Gewalt. Hier werden wiederum weibliches Rebellieren mit Psychopathie zusammengebracht. Weibliche Agenda ist gefährlich und darum muss die Heldin auch am Ende zum Monster werden.

A Girl Walks Home Alone at Night (2014) – feministischer Vampir-Horror

Das ist der Twist des Vampirfilmgenres, auf den ich zumindest seit Langem gewartet hatte: Protagonistin von A Girl Walks Home Alone at Night ist eine namenlose Vampirin (Sheila Vand) in einem fiktionalen Iran. Sie geht nachts auf Opferjagd und fährt dafür mit flatterndem Tschador auf dem Skateboard durch die Stadt. (Wie viel Grusel eine eigentlich als bescheiden und harmlos konnotierte Frauenfigur im traditionellen iranischen Gewand entwickeln kann, führt der Film sehr schön vor.) Bei ihrem Blutdurst hält sich die Vampirin vor allem an Männer, die Frauen unterdrücken (z.B. den gewalttätigen Zuhälter aus der Nachbarschaft).

Der Film ist im Original auf Farsi, wurde aber in den USA gedreht und hat deshalb eine Ästhetik, die an Hollywood-Klassiker der 50er Jahre erinnert, z.B. klassische Western oder die James-Dean-Filme. Der junge Arash (Arash Marandi) gefällt sich in seiner Rebellenrolle als „iranischer James Dean“ mit Cabrio, weißem T-Shirt und Jeans, erkennt aber in seiner Naivität nicht, welche Gefahr von der Vampirin ausgeht, als er ihr das erste Mal begegnet. Sie nimmt ihn mit zu sich nach Hause, um sein Blut zu trinken. Aber es herrscht gleich eine erotische Spannung zwischen den Charakteren (freilich weiß Arash nicht, worauf er sich einlässt), und so tötet die Vampirin den jungen Helden nicht. (Das ist die beste Szene des Films – wie viel auch ganz ohne Worte gesagt werden kann, zeigt sie sehr gut.) 

In A Girl Walks Home Alone at Night sind die traditionellen Geschlechterrollen des Gothic Horror vertauscht: Die Frau ist die Jägerin, die sich männliche Opfer sucht. Das ist eine ironische Zurschaustellung von männlicher Angst vor dem weiblichen Begehren. Frauen, die zu forsch sind, sei es sexuell oder anderweitig, werden schnell für „unnormal“, ja „unheimlich“ gehalten. (Und der Vampirbiss steht nicht erst seit Twilight als Chiffre für Sex.)

Aber gleichzeitig deutet der Film die Horror-Gestalt der Vampirin auch positiv um. Sie ist zwar unheimlich, aber trotzdem die Heldin der Geschichte. Denn sie ist die Rächerin, die die männlichen Unterdrücker der Filmhandlung bestraft.

Der Film wurde von der iranisch-amerikanischen Regisseurin Ana Lily Amirpour gedreht und kann sicher auch als satirische Verzerrung des traditionell-muslimischen Idealbilds von Frauen gesehen werden: Eine Frau, die nachts allein nach Hause geht, ist dafür an sich schon eine Provokation.

Was meint ihr zu meinen Beispielen? Welche Horror-Heldinnen kennt ihr?

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2 Kommentare

  1. Janna | KeJasWortrausch 4. Dezember 2021

    Welch wundervoller Beitrag <3 Ich schreibe genau aus dem Grund kaum Kommis zu deinen Beiträgen, es gibt schlichtweg nichts hinzuzufügen, sondern einfach ein Genießen deiner Beiträge (=

    Antworten
    1. Sabine 4. Dezember 2021

      Vielen Dank, liebe Janna! ?

      Antworten

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